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„Wo im Keller noch Käthe Kollwitz spukt“: …

Von Gastbloggerin Fotografin und Journalistin Susanne Wolkenhauer

Die Gegend rund um die Potsdamer Straße wird mehr und mehr zur Kunstmeile: Galerien und Künstler/innen siedeln sich an, auch in Medienberichten ist zunehmend vom „Kunst-Hotspot Potsdamer Straße“ die Rede, an dem die Kulturszene den „rauen Charme“ schätzt.

Wie läuft die Entwicklung weiter und was bedeutet das für den Kiez?

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Moderatorin Regine Wosnitza verliest ein Grußwort von Professor Hans-Hendrick Grimmling

Dass diese Frage viele beschäftigt, zeigte sich am 12. Mai 2011 bei einer Gesprächsrunde in der LISTROS-Galerie, die innerhalb der Ausstellung „im listrosjahr“ von Hans-Hendrik Grimmling stattfand.

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Viel Interesse für Perspektiven an der Potsdamer Straße.JPG

Direkt vor Ort an der Kurfürstenstraße hatte sich eine bunte Mischung an Kulturinteressierten und Anwohner/innen zusammen gefunden, die fast die schönen Räumlichkeiten sprengte. Gemeinsam wollten sie mit Professorin Talja Blokland, Bezirksbürgermeister Christian Hanke MMM und dem Galeristen Peter Herrmann als Afrika-Kunst-Spezialisten nach einer Lesung der Potsdamer-Straße-Spezialisten Sibylle Nägele und Joy Markert dieser Fragestellung auf den Grund gehen.

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Autoren Sibylle Nägele und Joy Markert

Mit ihrer Lesung spannten Nägele und Markert einen kulturhistorischen Baldachin auf: Das Besondere der Potsdamer Straße gegenüber anderen Kunstquartieren Berlins ist eine zweihundertjährige Kunst-Geschichte, die immer noch spürbar ist und fortwirkt. Kunsthandlungen, Galerien und Verlage säumten die Straße, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Publizisten und Bildende Künstler/innen saßen hier neben Lithographen, Vergoldern oder anderen Kunsthandwerkern – ein Sammelbecken für jene, die wir heute als „Kreative“ und „Medienschaffende“ bezeichnen.

Damals wie heute trägt das „Halbseidene“ zum Charakter des Kiezes bei: Wo früher engagierte Schriftsteller gegen soziale Ungerechtigkeit oder für die Rechte der Frauen schrieben und heute Bilder und Skulpturen in ehemaligen Werkstätten ausgestellt werden, wo sich Künstler-Vereine gründeten und Kunsthochschulen niederließen, waren Cabarets und Vergnügungsstätten nie weit.

Eine spannende Mischung mit Geschichte, die die Journalistin Carmen Gräf in Markerts und Nägeles Broschüre „Charme-Offensive Potsdamer Straße“ so beschreibt: „Die Potsdamer Straße ist für mich wie Berlin: keine aufgetakelte Madame, sondern eine aufregende Frau, die gern gelebt hat und das offensichtlich immer noch tut.“

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Foto: Recep Aydinlar

In den letzten Jahren sind sehr viele neue Galerien ins Gebiet rund um die Potsdamer Straße gezogen, da stimmte Dr. Talja Blokland, Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der HU Berlin, mit Nägele und Markert überein. Ein Unterschied zu früher sei aber die stärker internationale Ausrichtung der Neuankömmlinge, und dass heute, in Zeiten des Internets und des „schnellen“ Lebens, soziale Bezüge weniger an das lokale Umfeld gebunden seien. Der Effekt: Es bilde sich eine Gruppe von Leuten mit weniger Kiezbezug als bei den Alteingesessenen heraus, von Leuten, die mit ihrem Arbeits- oder Wohnort nicht so sehr das Verlangen nach netter, sauberer Kuscheligkeit verknüpfen und gerade deswegen sehr tolerant gegenüber dem Geschehen vor der eigenen Türe sind. Ein guter Mittelbau zwischen dem „Schmuddel-Kiez“ mit Straßenstrich und Trinkern und der Kleinbürgerlichkeit, vielleicht könnten die Zugezogenen sogar einen Mediatorenrolle einnehmen.

Zwei weitere Möglichkeiten warf Blokland in ihrer engagiert vorgetragenen Rollensuche für die Galerien in die Runde: Von der Arzt-Empfehlung bis zum Ausflugstipp – an allen Treffpunkten für Gruppen mit einem gleichen Interesse, in Sportclubs ebenso wie in Galerien, findet ganz nebenher ein Austausch auch über „fachfremde“ Themen statt, die Leute vernetzen sich. Galerien als Treffpunkte: Ob das funktioniere, sei nicht klar, aber jedenfalls eher als bei Veranstaltungen direkt unter dem Motto „vernetzt euch!“
Und nicht zu vernachlässigen seien die Galeristen als Unternehmer: Schließlich kommen ihretwegen Kunden mit Geld oder hohem sozialen Engagement in den Kiez – das gilt es zu nutzen, für Projekte oder als Fundraising-Quelle. Mal davon abgesehen, dass ja auch die Galerien selbst Arbeit schüfen: Den Boden zu putzen oder das Catering für die Vernissage zu machen bedeutet Jobs – im besten Falle für Leute aus dem Kiez.

Vor der viel befürchteten Gentrifizierung, der Vertreibung ärmerer Nachbarn aus einem sich verteuernden Kiez wie im Prenzlauer Berg, müsse man in Tiergarten Süd eher weniger Angst haben: „Hier ist die Ausgangslage ganz anders: Es gibt viele einzelne Hausbesitzer, die jeweils für sich handeln, hoffentlich auch verantwortungsbewusst gegenüber ihren Mietern.“ Wichtig sei einen Weg zu finden, um die Diversität, die Unterschiedlichkeit im Stadtteil zu behalten, die ja gerade auch seinen großen Reiz ausmache.

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Bezirksbürgermeister Mitte - Dr. Christian Hanke Foto: Recep Aydinlar

Die Vielfalt erhalten und die Nachbarschaften stärken – das sind auch für Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke entscheidende Ziele für „seinen“ Stadtteil. Dass Künstler und Galerien Einzug halten, gerade auch die kleineren, ärmeren mit Kiezbezug, begrüßt er sehr. „Die Leute finden das schön und interessant, so gewinnt ihre eigene Gegend für sie an Wertschätzung.“ Nach dem Schock über den Wegzug des Tagesspiegels sei das auch bitter nötig gewesen: Allen Unkenrufen zum Trotz ist das Gebiet auch dank der wachsenden Kunstszene nicht abgerutscht. Aber die Gegend hier lebe auch gerade vom bunten „Außenrum“ mit Läden, Cafés, dem Kiosk an der Ecke. „Die Potsdamer Straße ganz ausschließlich mit aneinandergereihten Galerien – bei dem Gedanken bekomme ich ja Depressionen, die Mischung hier ist das Schöne!“

Zur Mischung innerhalb der Kunstszene trägt auch die wachsende afrikanische Community im Bezirk bei, die auch mit afrikanischer Kunst im Gepäck kommt – und nicht nur mit typischer „Ethnokultur“. So bietet sich die Möglichkeit, afrikanische Literatur, Musik und Kunst besser kennen zu lernen und das eurozentrische Bild „Afrika gleich Hunger, AIDS, Malaria und Bürgerkriege“ zu erweitern. Eine Möglichkeit in gerade entstehenden Netzwerken, die Hanke durchaus auch durch Kommunalpolitik stärken möchte.

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Galerist Peter Herrmann

Peter Herrmann, dessen Galerie an der Potsdamer Straße den Schwerpunkt Afrika hat, kann da auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen. Ein großes Problem sei die mangelnde Wertschätzung eigener Kunst und Kultur in den afrikanischen Ländern. Die Vermittlungsebene fehle, auch Verbindungen über Botschaften in Berlin – für andere Länder oft selbstverständlich – seien mager.

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Dawit Shanko - Initiator und Leiter der LISTROS Galerie

Eine Einschätzung, die Dawit Shanko von der LISTROS-Galerie teilt. Beide wünschen sich, dass Kunst und Kultur dazu beiträgt, Afrika eine ganz normale Rolle in Berlin spielen zu lassen. Herrmann: „Gerade in der Potsdamer Straße, wo Käthe Kollwitz noch im Keller der Häuser spukt, sehe ich da gute Möglichkeiten.“

Was macht einen Kunst-Ort aus? Diese Frage trieb die Beteiligten an einer kleinen Diskussionsrunde um: Ist das Kulturforum eine wüstenartige Brache, auf der man etwas Neues schaffen muss, und sei es, indem man – so Bloklands Idee – bunte Karussells dort aufstellt? Oder sind solche „unfertigen“, ungeregelten Orte etwas Wunderbares, an denen von selber etwas entstehen kann und die man auch mal ganz anders nutzen könnte?

Wie werden Kunst-Orte zu Begegnungs-Orten? Indem man auf dem Kulturforums-Platz ein Barbecue veranstaltet? Oder wie im Verein Berliner Künstler Führungen und Programm für ein gemischtes Publikum anbietet? Oder wenn man nach der diesjährigen „Kindermagistrale“, auf der im Sommer an mehreren Tagen Kunstaktionen mit Kindern stattfinden werden, eine Ausstellung der entstandenen Werke in einer „echten“ Galerie macht, die so zum Projektraum wird, den auch Eltern und Verwandte besuchen? – Für letztere Idee ließ sich Dawit Shanko von der LISTROS-Galerie spontan begeistern: Wir dürfen also schon jetzt gespannt sein!

Alle Anwesenden konnten von dem ungemein anregenden Abend im schönen Rahmen der LISTROS-Galerie etwas mitnehmen: Das zeigte sich schon an den zahlreichen Grüppchen von Leuten, die trotz der vorgerückten Stunden noch eifrig weiter diskutierend mit einem Glas Wein oder einem Tässchen äthiopischen Kaffees zusammen standen.

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Dr. Hanke erhält die Listros-Box

Eine Besonderheit zum Anfassen bekam Bürgermeister Hanke mit auf den Weg: Ihm überreichte Dawit Shanko eine echte abgegriffene LISTROS-Schuhputzerbox. Diese Boxen ermöglichen Straßenkindern im äthiopischen Adis Abeba, mit ihrer Arbeit zum eigenen Unterhalt und dem ihrer Familien beizutragen – und im Rahmen eines Kunstprojekts sind über 3.000 von ihnen, mit Sätzen von den Kindern selbst im Inneren, als Kultur-Botschaften in der Galerie gelandet.

Hankes Box enthält den kurzen Brief eines fünfzehnjährigen Mädchens: „Liebe Welt, ich freue mich, dass ich dir schreiben kann! Aber hörst du mich auch?“

Afrika & die innere Haltung

von HU-Gastblogger Janosch Werzl

Glücklicherweise ist die Geschäftsführerin von AfricAvenir International e.V., Judith Strohm, für kurzfristig anberaumte Interviews zu haben. So treffe ich sie nur wenige Stunden nach meiner Anfrage in der Galerie Listros, Kurfürstenstraße 33, in welcher der Verein AfricAvenir seit letztem August sein Büro unterhält.

Der Verein AfricAvenir e.V., dessen Geschäftsführerin Judith Strohm ist, wurde 2004 von Studenten der Politikwissenschaft am Otto-Suhr Institut der FU Berlin gegründet und versteht sich als deutsche Sektion der ursprünglich in Douala, Kamerun, beheimateten Organisation AfricAvenir. „Dort steht auch das Mutterhaus von AfricAvenir“, so Judith Strohm. Weiterlesen

Peter Herrmann ist Peter Herrmann ist Peter Herrmann – zu einfach für die potse

Gestern abend bekam ich per email eine Einladung: „Galerie Peter Herrmann – Neueröffnung in der Potsdamer Straße 98A“

Das freute mich sehr, denn vor drei Tagen hatte ich Peter Herrmann per email eine Einladung zur Ausstellungseröffnung „Gute Geschäfte – Kunsthandel in Berlin 1933 – 1945“ geschickt.

Aufmerksamer neuer Nachbar, dachte ich. Vor ebenfalls vor drei Tagen hatte ich per FB-potseblog die erfreuliche Ankunft diese Sammlers afrikanischer Kunst an der Potsdamer Straße kundgetan. Ich schrieb: Ab April in der Potsdamer Straße. Galerie Peter Herrmann: Zeitgenössische Kunst internationaler Künstler mit thematischem Schwerpunkt Afrika und authentische alte Kunst West- und Zentralafrikas. Morgen bereits bei der Ausstellungseröffnung Grimmling bei Listros zugegen.

Dann streifte ich gestern abend gedanklich kurz ein kleines Missgeschick, das mir in Verbindung mit der Gemengelage Peter Herrmann/Listros bei genau der erwähnten Ausstellungseröffnung Grimmling passiert ist. Weiterlesen

im listrosjahr 2010 – 12 MALEREIEN VON GRIMMLING

Seine Bilder sind fast immer schwarz. Seine Autobiographie die umerziehung der vögel beginnt mit dem Kapitel „Das Schwarz.“ Schwarz ist er gekleidet.

Nur zu Jahresbeginn, da gibt es immer diese Farbtupfer. Das passiert. Auch Anfang 2011.

„Rot-grün-gelb,“ sagt Hans-Hendrik Grimmling belustigt. „Ich habe diesmal unbewusst die äthiopischen Flaggenfarben gewählt.“ Weiterlesen

Was wir von äthiopischen Listros lernen können

Stellen Sie sich vor, Sie würden hier in Berlin für einen Tag oder auch nur wenige Stunden als SchuhputzerIn arbeiten: Wem würden Sie die Schuhe putzen wollen? Und von wem würden Sie sich die Schuhe putzen lassen?

Dies ist eine Frage, die Dawit Shanko vom Listros e.V. regelmäßig Berliner SchülerInnen stellt (Listro werden in Äthiopien Schuhputzer genannt. Übersetzt heißt es so viel wie „glänzend machen.“)

In den Räumen von Listros

Dawit Shanko mit Berliner SchülerInnen

Einige Achtklässler, die in der vergangenen Woche für ein Halb-Tagesprojekt zu Listros in die Kurfürstenstraße kamen, reagierten nicht nur auf diese Frage, sondern auch auf die Übung, sich gegenseitig die Schuhe zu putzen, extrem.

Schuhe putzen ist keine Selbstverständlichkeit

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Eine Jungengruppe, erzählt Dawit Shanko, kam sich beim gegenseitigen Schuhe putzen „gedemütigt“ vor, doch als sie die Rolle des Kunden einnahmen fühlten sie sich als „King – toll – mächtig – überlegen“. Ihre Präsentation begannen sie vorsichtshalber mit „Nicht falsch verstehen“. Dann erklärten sie: nie würden sie selbst jemandem die Schuhe putzen. Sollten sie die Arbeit in Anspruch nehmen, dann nur „von Schwarzen, Türken und Ausländern inklusive Polen“. In der Pause änderten sie dann plötzlich ihre Meinung, schnappten sich Schuhputzkästen und gingen hinaus auf die Kurfürstenstraße zu den Prostituierten.

Dawit Shanko lacht beim Erzählen. Aus Erfahrung mit vielen Schulklassen weiß er, dass es Zeit braucht, bis sich die Sichtweisen ändern. In einem dreistündigen Schulprojekt kommt er mit seiner Botschaft nicht gleich rüber.

Dennoch lauschen die SchülerInnen besonders aufmerksam, wenn er seine eigene Geschichte erzählt. Wie er erst Schuhe putzte („Je dreckiger, je besser, denn dann verdiente ich mehr Geld“), dann Eier verkaufte („Das war ein Schritt nach oben, denn jeder braucht auch Eier“), sich weiter Geld für die eigenen Bildung verdiente, bis er dann als Student nach Deutschland kommen konnte.

Er weiß also aus eigener Erfahrung, dass in Äthiopien die oft sehr jungen Schuhputzer viel Engagement und Selbstständigkeit zeigen, als Kleinunternehmer fungieren und sich so viel Respekt verdienen.

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Auch an diesem Morgen gibt er den SchülerInnen Briefe zu lesen, die Listros an die Welt geschrieben haben und die Teil der im Oktober in den Potsdamer Platz Arkaden gezeigten Ausstellung Berliner Glanzwerke waren. „Wir tun nicht nur etwas für uns, sondern auch für unsere Familie und unsere Nachbarn,“ schreibt ein Listros. „Wir sind wie jeder andere, der sein Leben verbessern möchte,“ ein anderer.

In einer Abschlussrunde wälzen die SchülerInnen dann Fragen, die in jeder Talkshow über Entwicklungshilfe auch von Erwachsenen ins Spiel gebracht werden und eher in der Luft hängen bleiben: Wie kann man ihnen helfen? Kommt das Geld an, das ich spende?

Bittet denn einer der Schuhputzer in einem Brief um Hilfe?“ fragt Shanko schließlich die SchülerInnen? Diese Frage müssen alle verneinen.

Und so tragen die Projekte, die Dawit Shanko seit 2004 inititiert, Titel wie „Ansehen statt Übersehen“ und  „Für mich die Liebe, Respekt für meine Arbeit“.

Denn Dawit Shanko ist überzeugt, dass SchülerInnen in Deutschland Haltungen wie Engagement und Selbstständigkeit von seinen jungen Landsleuten lernen können, wenn sie sich dieser unbekannten Arbeit unvoreingenommen nähern, in die Rolle eines Schuhputzers schlüpfen und mit Respekt vor andere treten.

Einige SchülerInnen nehmen diese Anregungen in ihren Abschlussbemerkungen auf. „Ich finde es gut, dass ohne Unterschied gearbeitet wird,“ schreibt einer. „Wenn es sein muss und mich niemand kennt, würde ich es für meine Familie tun,“ ein anderer.

P.S. Danke an Heinz V. für die Fotos.

Listros – Schuhputzer in den Potsdamer Platz Arkaden

Mit 11 Jahren wusste Dawit Shanko ganz genau, warum er im äthiopischen Addis Abbeba Schuhe putzte. Als Dienstleister wollte er Schuhe „glänzend machen“ (Listro, die äthiopische Bezeichnung für Schuhputzer, bedeutet wörtlich „glänzend machen“). Und als Junge wollte er für seine Bildung Geld verdienen, denn später als Erwachsener wollte er etwas bewirken.

Gestern eröffnete Dawit Shanko, als 42jähriger inzwischen in Berlin zu Hause und Initiatior und Vorstand von Listros e.V., die Veranstaltungsreihe „Berliner Glanzwerke“. Sie ist auf ein Jahr angelegt und wird Ausstellungen, Filme und Diskussionen zur Förderung des deutsch-afrikanischen Dialogs umfassen.

In unserem Projekt geht es nicht um Kolonialismus und die Folgen,“ erklärte Dawit Shanko den 700 BesucherInnen, die zum Festaktes ins Atrium der Daimler Financial Services gekommen waren. Zuvor hatte er Bundespräsident Christian Wulff das erste Projekt der einjährigen Reihe – die Ausstellung „Perspektivwechsel“ in den Potsdamer Platz Arkaden – gezeigt.

Bild: Listros e.V.

Dawit Shanko als präsidialer Schuhputzer

„Es geht um einen Perspektivwechsel und darum, sich vom jungen schöpferischen Afrika inspirieren zu lassen,“ fuhr Dawit Shanko fort. „Zum Beispiel davon, wie persönliches Wachstum geschieht, wenn man sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt und aus der Opferrolle heraus tritt.“

Ausstellung Perspektivwechsel

Perspektivwechsel

Konstrate in Arkadien

Kontraste

Hans-Hendrik Grimmling

Dawit Shanko bedankte sich für den Satz „die Zukunft gehört den Nationen, die offen sind für kulturelle Vielfalt, für neue Ideen und für die Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem“ aus der Rede des Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit 2010 und fügte hinzu: „Wir Afrikaner können Deutschland bereichern.“

Dies ist ganz deutlich bei der Ausstellung „Perspektivwechsel“, die bis zum 7. November in den Potsdamer Platz Arkaden zu sehen ist. Sie vereinigt 120 Werke zum Thema von Malern, Bildhauern und Fotografen in Deutschland und Äthiopien.

Das Herzstück der Ausstellung sind 3.500 original Schuhputzboxen, in denen die Listros normalerweise ihre Schuhputzmaterialien aufbewahren, auf die die Kunden ihre Schuhe stellen und die in Wartezeiten auch als Sitzhocker benutzt werden.

Schuhputzboxen

Schuhputzboxen

Im Sommer 2010 schrieben dann 3.500 Listros einen persönlichen „Brief an die Welt“, verstauten ihn in ihre Schuhputzbox und schickten diese nach Deutschland. Im Projekt „Shine On“ fertigten sie dann mit Unterstützung des Unternehmen Sara Lee KIWI für sich neue Boxen.

Mit meiner Arbeit bringe ich mein Leben zum Glänzen.“

Ich sage euch, dass ich durch meine Arbeit eines Tages ein hohes Ansehen haben werde.“

Nur große Leute können kleine Arbeit machen.“

Wir wollen mit der Welt in Kontakt treten, wir warten auf eure Antwort.“

Jede Arbeit ist wichtig, deshalb lasst uns die Arbeit gemeinsam tun, in gegenseitigem Respekt.“

Auch wenn ich heute zu Füßen von anderen Menschen sitze, so habe ich doch einen Wert.“

Botschaften der Listros

Botschaften der Listros

Selbstbewusstsein, Ideen und Mitmenschlichkeit sprechen aus den Botschaften. In seiner Rede wies Bundespräsident Wulff darauf hin, dass Bilder von jungen Schuhputzern bei uns hingegen meist als „Symbol der Armut, Ausbeutung und Erniedrigung“ gelten.

„Dawit Shanko ist ein Architekt und Künstler, der große Kreise begeistern kann und ein Gewinn für unser Land ist,“ fuhr der Bundespräsident fort. „Mich freut, dass BürgerInnen mit Wurzeln in Afrika hier in Deutschland etwas tun, damit wir wiederum für Afrika etwas tun.“ Er betonte, dass die Ausstellung „Interesse aneinander, den Respekt voreinander und die Verantwortung füreinander“ fördere.

Dawit Shanko kam 1985 zunächst nach Leipzig und dann vor dem Fall der Mauer nach West-Berlin. Er studierte Architektur und gründete 2003 den Verein Listros e.V., um mit vielseitigen Projekten Kinder und Jugendliche in Äthiopien zu unterstützen. Damit unterstützt der Verein Kinder, die arbeiten, nicht aber Kinderarbeit.

Wir werben für einen Perspektivwechsel und fordern auf, über das Thema Kinderarbeit differenzierter nachzudenken,“ sagt Dawit Shanko in einem Interview. „60 % aller Äthiopier sind jünger als 18 Jahre. Weder die Familien noch der Staat haben genügend Geld, allen den Schulbesuch zu finanzieren. Die Listros übernehmen in jungen Jahren Verantwortung für ihre Leben und sind stolz darauf. Mit dem Geld kaufen sie oft Hefte oder eine Schuluniform. Wer das verbieten möchte, hat nichts von den Lebensrealitäten junger Afrikaner verstanden und weiß auch nicht, wie ermutigend die Erfahrung ist, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Diese Kultur der Eigenverantwortung unterstützen wir und helfen den Listros, ihre Ziele zu erreichen: Als Schüler oder als Selbständige. Jeder nach seinen Möglichkeiten.“

Gleichzeitig organisiert Listros e.V. Bildungsprojekte in Berlin und ganz Deutschland, die einen Perspektivwechsel ermöglichen. Seit vielen Jahren arbeitet er zum Beispiel mit einer Klasse an der Kreuzberger Hunsrückschule. Die Fünftklässler waren natürlich bei der Eröffnung dabei und sangen ihre Klassenhymne „Gemeinsam geht’s besser“, die im Rahmen der Arbeit entstanden ist.

Ein weiterer Ansatz von Listros e.V. ist die Einbindung von Menschen und den ihn eigenen Qualifikationen in die Projektarbeit. Sie lernen in der konkreten Arbeit an Projekten wiederum, die Lebenszusammenhänge der Listros anders einzuschätzen.

So wird das Projekt „Glanzwerke“ in enger Zusammenarbeit Professor Hans-Hendrik Grimmling und StudentInnen der Berliner Technischen Kunsthochschule (btk) in der Bernburger Straße realisiert. „Ich musste mich zu Beginn erstmal mit der Idee anfreunden, dass dies Kinderarbeit ist,“ sagt Elena Brandenstein. „Doch mit der Zeit wurden die Zusammenhänge für mich immer logischer und ich fand unsere Arbeit sehr spannend real und hilfreich.“

Mobile Schuhmacher - Ausbildungswerkstatt

Mobile Schuhmacher - Ausbildungswerkstatt

Elena Brandenstein studiert Information und Interface Design an der btk und gestaltete mit Kommilitoninnen und in Kooperation mit Listros e.V. und der Jettainer GmbH aus einem ausrangierten Luftfrachtcontainer eine mobile Schuhmacher-Ausbildungswerkstatt, die später in Äthiopien zum Einsatz kommen wird. Im Herbst 2011 werden Listros und Jettainer den Designwettberb „Business in a Box“ ausschreiben, in dem StudentInnen eingeladen sind, einen „Mobile Business Unit“ aus einem Luftfrachtcontainer zu gestalten.

Eric Berg studiert Kommunikationsdesign und war einer von sieben btk StudentInnen, die seit einem Jahr bei Listros e.V. in der Kurfürstenstraße das Ausstellungsprojekt mit entwickelten. „Es war ein schwieriger Anspruch, diese Ausstellung in einem Einkaufszentrum zu realisieren,“ sagt er. Doch mit der Zeit wurde aus der Herausforderung eine Botschaft. „Die Leute kommen in diesen Tempel, um Geld auszugeben. Und wir zeigen ihnen, dass in Äthiopien sehr gute Sachen gemacht werden.“

Kunst als Motor

Kunst als Motor

Drei StudentInnen der btk fuhren im Juli 2010 nach Addis Addeba und produzierten einen Dokumentarfilm über die Listros, ihre Arbeit und den Bau neuer Schuhputzboxen.

Und bei der Ausstellungseröffnung selbst schlüpften SchülerInnen von drei Berliner Partnerschulen in die Rolle der „Listros“. Dadurch hatten sie und die Gäste ebenfalls die Chance zu einem Perspektivwechsel.

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