Schlagwort-Archiv: Magdeburger Platz

Das Grünflächenamt auf dem Magdeburger Platz?!

Auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de waren in letzter Zeit mehrmals Aufrufe von der AG Magdeburger Platz des Stadtteil-Forums Tiergarten-Süd zu lesen. So auch vor vier Tagen: Seit einigen Wochen trifft sich die Arbeitsgruppe Magdeburger Platz des Stadtteil-Forums regelmäßig auf dem Platz und rodet Brennnesseln. Am kommenden Samstag [ heute – 6.5.2017 ab 11 Uhr] nun werden wir dann auf den ersten 200 m² bearbeiteter Fläche säen können, bald werden dort Kornblumen statt Brennnesseln sprießen.
An diesem Tag können wir auch mit weiterer Unterstützung rechnen, da wir uns an dem berlinweiten Aktionstag Berlin machen beteiligen.
Kommen auch Sie, bringen wir Leben auf den Platz, damit wir uns dort wohlfühlen können. Weiterlesen

„Kondome, Spritzen, Fäkalien“ (Carsten Spallek) – Berlins neuer Schandfleck?

Von HU-Gastbloggerin Steffi

Die Sperrung des Magdeburger Platzes wegen „untragbarer hygienischer Verhältnisse“, wie es in der Pressemitteilung des Bezirksamtes vom 24.09. 15 dazu heißt, wurde mit  affektvollen Geschichten in Tagesspiegel, Berliner Kurier & Co dokumentiert. Von der „Kapitulation vor Schmutz und Drogen“ lesen wir da, von einem zum „Saustall“ verkommenen Park, den „die Kriminalität nun geschluckt“ habe. Aber ist der journalistische Diffamierungsfeldzug gegen den Kiez rund um die Potsdamer und Kurfürstenstraße bloß ein Garant für Absatzzahlen oder handelt es sich hier wirklich um einen zweiten „Görli“? Grund genug mich vor Ort umzusehen.

Impressionen vom Magdeburger Platz.

Freitag – 11:00
Während ich entlang des großes Bauzauns schlendere, der den erst letztes Jahr sanierten Spielplatz und die Grünanlage für Kinder und Ruhesuchende unbegehbar macht, lassen das Bild, das sich mir hier bietet, und der Gestank nach Urin keinen Zweifel an der Berechtigung des an den Eingängen zum Magdeburger Platz plakativ angezeigten Sperrungsgrundes. Ganz klar, hier gibt es ein gravierendes hygienisches Problem. Überall sehe ich Scherben hinter dem unschönen Zaun liegen, benutzte Kondome und andere Hinterlassenschaften der Prostituierten, die unweit auf der Kurfürstenstraße schon jetzt um Kundschaft buhlen. Aber gerade, als ich glaube, den dreckigsten Ort Berlins ausgemacht zu haben und mir mein Auftrag bereits erfüllt erscheint, hoppelt unvermittelt ein Häschen am Zaun entlang. Vielleicht gibt es doch Hoffnung?

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Vorbeigehende Menschen beargwöhnen mich misstrauisch ob meiner Neugier für den kleinen Park. Ich trete die Flucht nach vorn an und frage einen Mann, der gegenüber des Arbeitsgerichts sein Fahrrad abkettet, ob er ein paar Minuten hat. „Kommt drauf an, wofür?!“, gibt er missmutig zurück. Mein Stolz stößt mir sauer auf. Schnell erkläre ich mich und erfahre, dass er als Anwalt öfters hier unterwegs sei. Viel berichten könne er allerdings nicht, tagsüber bekomme er jedenfalls kaum etwas mit.

IMAG0857Ich trotte weiter zur Nordseite des Parks, bleibe stehen und schaue mich um. Eigentlich ganz friedlich, beinahe anheimelnd, auch wenn die geisterhaft wirkende Anlage und der verlassene Spielplatz einen leicht morbiden Charme ausstrahlen. Orientalische Klänge reißen mich aus meinen Gedanken. Als ich mich umblicke, vermute ich zunächst, dass das DRS-Geschäft gegenüber, das Ton- und Lichttechnik und anderes Profi-Equipment verleiht, in eigener Sache wirbt. Erst dann macht es Klick. Ein junger Mann, der hinter mir am Straßenrand parkt, hat die Musik aufgedreht und sein Fenster runtergekurbelt, nickt und zwinkert mir immer wieder bedeutungsvoll zu und formt mit seinen Lippen geräuschlos eine unmissverständliche Anfrage. Verdutzt hebe ich die Augenbrauen, drehe mich beleidigt weg und mache mich aus dem Staub.

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Blick in einen Hinterhof in der Lützowstraße

Freitag – 19:30
Alles ruhig und friedlich. Ich drehe „meine“ Runde um den Platz. Doch als ich um die Ecke zur Genthiner Straße biege, starren mich unverhofft zwei blanke Nippel wie Pupillen an. Leicht beschämt suche ich das dazugehörige Augenpaar. Irritiert blicke ich die Dame an, aber sie schlendert nur ungerührt weiter. Business as usual.

An der Lützowstraße treffe ich die Jungs vom DRS vor ihrem Laden, die gerade auf ihren Feierabend anstoßen und spreche sie auf ihren „Vorgarten“ an. Kameradschaftlich bekomme ich ein Bier in die Hand gedrückt.
Ein wenig Frust schwingt bei den Anrainern schon mit, als ich mich nach dem Bauzaun erkundige, da es das Problem offenbar nur aus dem direkten Blickfeld verdränge, nicht aber beseitige. Das gekaufte Liebesspiel verlagere sich nun nämlich auf zugängliche Hinterhöfe. Mit unangenehmen Folgen. Die Hinterlassenschaften der Damen und ihrer Freier findet die Crew jetzt allmorgendlich auf ihrem Parkplatz direkt neben dem Haus. Sie wollen nun eine neue Lichtanlage mit Bewegungsmelder installieren.
Während wir so plaudern, wird mir bewusst, dass es für Lars und sein Team eigentlich nur ein Ekelproblem ist. „Manchmal lässt mich der Blick vor die Füße meine Gehroute kurzfristig ändern“. Von Feindseligkeit oder gar Ängsten vor der Kriminalität keine Spur, und das, obwohl einmal sogar der ladeneigene Transporter aufgebrochen und kurzerhand als Hurenstube umfunktioniert wurde.
Mit meinem Wege-Bier in der Hand und beflügelt von der Toleranz und Offenheit der Kiezansässigen marschiere ich ins Red direkt gegenüber. Wieder bin ich erstaunt von der respektvollen Haltung der Inhaber, die sich spontan mit mir unterhalten. Natürlich komme es bei Staatsbesuchen nicht sonderlich gut an, wenn sich vor dem Laden ein solcher Anblick biete, aber „die Frauen sind auch nur Menschen. Sie machen auch nur ihren Job.“ Und dass man während der schlimmen Hitze im Sommer der Not mit Cola oder Wasser ein wenig beigekommen ist, wie ich heraushöre, danken die Frauen dem Lokal und Veranstaltungsort des ICD nun offenbar auf ihre Art, nämlich indem sie sich aus dem Sichtfeld der Gäste zurückgezogen haben.

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Am Parkplatz von Möbel Hübner – eine Freilichttoilette

Natürlich hofften die Betreiber, dass sich die Lage langfristig ändere und setzten dabei vor allem auf die Stadt. Dem Bauvorhaben auf dem Parkplatz des Möbel Hübner, das derzeit etwa 200 Wohnungen und kleinere Geschäfte vorsieht, sehen sie erwartungsfroh entgegen.

Dann setze ich mich auf die Terrasse vom Bistro am Magdeburger Platz, in dem ich mittlerweile Stammkundin bin und Jürgen versorgt mich mit heißem Tee, während ich auf den dunklen, verlassenen Platz schaue. „Heute ist es ruhig“, lasse ich mir sagen, „wahrscheinlich ist es schon zu kalt“.

 

Montag – 8:00
Am Platz ist es wie gewohnt ruhig. Kurzerhand entschließe ich mich dazu, mir ein eigenes Bild von der Verschmutzung im Park zu machen. Entschlossen hebele ich den Bauzaun aus, schiebe ihn ein Stück zur Seite und schlüpfe hindurch. Über das hüfthohe Eingangstor klettere dem investigativen Journalismus entgegen. Und schon stehe in der verwaisten Grünanlage.

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Hier sollten Kinder nicht spielen

Entlang des Wegrandes sehe ich benutzte Abschminktücher, Flaschen, Kondome. Auf der Wiese mache ich einen gerupften, ausgeweideten Vogel aus. Kaum blicke ich angewidert in die entgegengesetzte Richtung- ein Zweiter!

Vogelfriedhof

Vogelfriedhof

Haben sich während des Leerlaufs hier im Park etwa die städtischen Füchse ein Stückchen Grün zurückerobert? Ich überlege, ob ich dem Grünflächenamt meinen Fund melden sollte, und dass der Park nicht ganz so lebensfeindlich ist, wie befürchtet. Jedenfalls nicht für alle.IMAG0864

Kurze Zeit später entdecke ich zurück auf legalem Terrain einen Mann, der sich vor der Tür seines Verlages eine Pausenzigarette gönnt und peile ihn an. Für einen Augenblick teilen wir einen Moment der Ungewissheit und ich bilde mir ein, in seinem Blick einen gewissen Restzweifel über mich und mein Anliegen auszumachen. Zum dritten Mal stolpere ich bei meiner Recherche über meinen Stolz. Als ich auf den Zaun deute und um ein kurzes Feedback bitte, ändert sich seine Miene schlagartig und er sprudelt aufgeschlossen los, dass er sich eigentlich ganz gerne für eine Zigarette oder ein paar Sonnenstrahlen dort auf eine Bank setze, auch wenn man die Gefahr ekliger Entdeckungen mit einkalkulieren müsse. Die vielen Avancen der Prostituierten müsse man halt entschlossen ablehnen, „genau wie eben, als Sie auf mich zugekommen sind und ich mich innerlich schon gewappnet habe“, womit er meinen Verdacht von eben wieder aufgreift.

In diesem Moment macht es Klick. „Den klassischen Typ Nutte gibt es wohl gar nicht“ spreche ich meine gerade gewonnene Erkenntnis laut aus. Kopfschüttelnd verneint er. Bei dem ganzen Dreck und den zwielichtigen Freiern, werde ganz deutlich, wieviel Überwindung es die Frauen kosten müsse, sich hier anzubieten und wie groß ihre Verzweiflung sein muss. Und diese Not kann offenbar jeden ereilen, ganz egal mit welchem sozialen Hintergrund, so der Anrainer, der das Geschehen hier seit Jahren verfolgt. Seine Achtung vor dem freudlosen Alltag der Frauen und ihrer Not lässt mich aufhorchen. „Jeder Mensch hat eine Geschichte“.  Die Gelassenheit und Weitsichtigkeit, mit der mir die Menschen auf meinen Streifzügen im ‚Problemkiez‘ begegnet sind, ist erfrischend.
Seine Zigarette ist schön längst aufgeraucht, als er beklagt, dass beispielsweise das Ordnungsamt personell gut genug aufgestellt, um tagtäglich Knöllchen an sämtliche Falschparker im Kiez zu verteilen, aber der Park hier verkomme. Dabei sei eine stündliche Polizeipatrouille gar nicht nötig. Die Sträucher zu kürzen und Laternen anzubringen, würde für den Anfang schon reichen. „Mit dem Zaun werden allenfalls Symptome bekämpft, keine Ursachen behoben“.

Im Quartiersmanagement
Es ist ruhiger geworden, viel weniger Beschwerden“, erwidert Michael Klinnert, Projektleiter im Quartiersmanagement, prompt zum Stichwort Bauzaun. Weiter berichtet er, dass Beschwerden von Anwohnern und Anrainern sonst quasi auf der Tagesordnung stünden. Immer wieder fielen dabei die Stichworte Verschmutzung, Lärmbelästigung, Prostitution und Drogenkonsum. Für eine dauerhafte Lösung hält er die Sperrung natürlich nicht, viel eher denkt er an eine permanente Bezäunung mit festen Schließzeiten und Schlüsseldiensten, verwaltet vielleicht sogar durch die Anwohner selbst. „Sie müssen sich den Platz zurückerobern.“
Er ruft in Erinnerung, dass die bisher aufgelaufenen Ausgaben für  Miete und Unterhalt des hässlichen Provisoriums die Baukosten für einen permanenten Zaun schon bald überstiegen. Das Argument nämlich, das Carsten Spallek ins Feld führte,  dass dem Bezirk die Kosten für einen festen, abschließbaren Zaun fehlten, sei damit bereits ausgehebelt.
Dass der kleine Park mit Spielplatz zur Sperrzone geworden ist, erklärt er als Gipfel einer steten Zuspitzung der prekären Verhältnisse am Magdeburger Platz. „Prostitution im Vollzug, Drogenkonsum“ und damit einhergenhend die exzessive Verschmutzung.  Dies hatte zuletzt im Sommer eine schlimme Rattenplage zur Folge. Dass die vom Amt für Grünpflege bestellten Mitarbeiter sich eines Tages weigerten, mit der Säuberung im Park wie Sisyphos immer wieder ganz von vorn anzufangen, hat dann das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen gebracht und die öffentliche Nutzung war binnen kurzer Zeit nicht mehr zu verantworten.

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Herr Klinnert wirkt müde.  Er zeichnet ein düsteres Bild. Denn Maßnahmen, um Frauen von der Straße zu holen, gibt es durchaus. Und in vielen Einzelfällen erfolgreich.  Nur in Bezug auf das Weichbild des Viertels greifen die nicht, da die Fluktuation zu groß sei. Quittiert eine Sex-Arbeiterin ihren Dienst, wird von den Zuhältern einfach die nächste, oft aus Ost-Europa, auf den Bürgersteig gestellt. Echte, langzeitliche Lösungen gebe es daher nicht. So nimmt der Projektleiter denn auch die bloße Verdrängung bewusst in Kauf, schließlich seien nach Jahrzehnten jetzt auch mal andere Bezirke dran.

„Bier jeht immer“

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„…von morjens um sechse bis abends um neune! “ Dahinter verbirgt sich nicht etwa ein persönliches Geständnis, sondern lediglich die Antwort auf die Frage, was sich im ‚Bistro am Magdeburger Platz‘ am besten verkauft.

So weit, so gut, ein typischer Späti eben. Aber weit gefehlt. Denn ein weiterer Verkaufsschlager: die belegten Brötchen und der Mittagstisch, zum Beispiel Soljanka oder Kartoffelsalat mit Boulette, selbstgemacht und für’n Appel und’n Ei. Damit locken Jürgen (wir duzen uns, alles andere wäre unpassend) und seine vier Kollegen täglich unzählige Kunden an. Da kann es schon mal richtig voll werden. Als ich mir am Vortag einen Kaffee bestelle, muss ich mir meinen Sitzplatz mit Blick auf den kleinen Park gegenüber regelrecht erkämpfen. Weiterlesen

Nischensuche

von HU-Gastbloggerin Jennifer Borth

Bereits Franz Hessel und Walter Benjamin schufen Bilder der Genthiner Straße und Umgebung, den Orten ihrer Kindheit um neunzehnhundert. In den Bildern reihen sich Lebensgeschichten der Läden, Gasthäuser, Hauswände und Passanten aneinander. Eine besonders lebendige Szenerie findet sich in Benjamins Erinnerung an die damalige Markthalle auf dem Magdeburger Platz. Aus Erzählungen dieser Art entsteht der „Rhythmus“ einer Gegend – ein Rhythmus und eine Lebendigkeit, die der Genthiner Straße heute fehlen.

Wie gestaltet sich die kulturelle und architektonische Tristesse der unscheinbaren Straße im Süden Tiergartens? Existieren Nischen der Ästhetik und des sozialen Lebens? Biegt man von dem begrünten Ufer des Landwehrkanals ab, gelangt man in die Genthiner Straße: es eröffnet sich eine Blickachse, deren Fluchtpunkt die Zwölf-Apostel-Kirche am Ende der Straße ist. Besonders nach Überqueren der Lützowstraße bietet sich dem Flaneur ein eintöniger Anblick von sich aneinanderreihenden Neubaukomplexen und Möbelhausgiganten. Die baulichen Strukturen der Möbelhäuser dominieren die Atmosphäre der Straße. Im Fall von Möbel Hübner ist fast das gesamte Areal von Genthiner Straße bis Pohlstraße in Firmenbesitz, während Krieger seit den 1960er Jahren den gesamten vorderen Teil der Straße bebaute. Es ist diese räumliche Komponente, welche hier Macht symbolisiert. Denn der Raum, der von den Unternehmen beansprucht wird, negiert den Nutzungsanspruch anderer- dies betrifft Bewohner sowie individuelle Architektur. Infolgedessen wirkt die Genthiner Straße verlassen, der öffentlich-soziale Raum der Straße scheint zerstört, es fehlt die Struktur von kleinen Geschäften, Cafés, etc. Erst auf den zweiten Blick lassen sich Inseln der Ästhetik und des sozialen Raums aufspüren. So findet sich auf dem Magdeburger Platz zwar kein Markthallentrubel mehr, eine Grünfläche mit Bäumen und Spielplatz bietet jedoch Ruhe und Gelegenheit für die Anwohner miteinander zu interagieren.

Ein paar Meter weiter bedarf es nur dem Abweichen vom Bürgersteig, um hinter der Neubaufassade Kontraste zu entdecken. Durchquert man die Toreinfahrt des Dänischen Bettenlagers, betritt man einen begrünten Hof, um den sich eine Gebäudegruppe im spätklassizistischen Stil ringt: ein Stadtvillenensemble aus dem 19. Jahrhundert, bezeichnet als Begaswinkel nach dem Maler Adalbert Begas.

Hier ansässig sind unter anderem ein Hotel, ein Studentenhaus und ein Verlag, der Begaswinkel ist also inhaltlich und architektonisch  eine verborgene Variation im Kontrast zur einseitigen Straßenfassade. Ein weiterer Ort kultureller Aktivität verbarg sich bis vor einigen Monaten im Vox Möbel Salon in Form der Galerie Beletage– das Gebäude steht jedoch inzwischen komplett leer.

Es wird sich zeigen, inwiefern im Rahmen des Quartiersmanagement die kulturellen Entwicklungen der Umgebung auch die Genthiner Straße zunehmend erfassen werden. Nicht zuletzt weil Geschichte und Straßenbild niemals statisch sind, bleibt es spannend die Veränderungen in Struktur und Erscheinung der Genthiner Straße zu verfolgen.

Poetische Potse – Teil 4 und Ende – literarischer Streifzug durch drei Jahrhunderte

Von Gastblogger Alexander Skrzipczyk
er studiert Germanistik und Philosophie an der TU
Fortsetzung vom 1. Oktober 2011

In allen Farben schillern wir die belebte Potsdamer Straße in südliche Gefilde hinunter, zwar nicht bis Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, aber doch bis zur Ecke Kurfürstenstraße. Nicht nur Joseph Roth, sondern auch unser zeitversetzter Audio-Guide Walter Benjamin emigriert zu düster weltkriegerischer Zeit nach Frankreich, nachdem er seine Kindheit in Berlin-Tiergarten verbringt. Am Magdeburger Platz wird er in die Welt geworfen und zieht nach einem Jahr – bis etwa zu seinem siebten Lebensjahr – in die Kurfürstenstraße 154. Angekommen am Hort seiner kostbaren Kindheit benötigen wir ja die Kopfhörer nicht mehr, setzen sie ab, und fast ist es so, als hörten wir weiter eine Stimme zu uns über erste erotische Erfahrungen oder das unvergleichliche Flair der umliegenden Treppenhäuser sprechen. Schweift der Blick nach rechterhand sieht man sie wieder stehen; hochbehackte Frauen osteuropäischer Herkunft. Auch der mittlerweile in die Adoleszenz gekommene Benjamin kann, libidinös erweckt, der geschlechtlichen Versuchung nicht widerstehen: „Stunden konnte es dauern, bis es dahin kam, auf offener Straße eine Hure anzusprechen. Das Grauen, das ich dabei fühlte, war das gleiche, mit dem mich ein Automat erfüllt hätte, den in Betrieb zu setzen, es an einer Frage genug gewesen wäre. Und so warf ich denn meine Stimme durch den Schlitz. Dann sauste das Blut in meinen Ohren und ich war nicht fähig, die Worte, die da vor mir aus dem stark geschminkten Munde fielen, aufzulesen. Ich lief davon, um in der gleichen Nacht – wie häufig noch –
den tollkühnen Versuch zu wiederholen. Wenn ich dann, manchesmal schon gegen Morgen, in einer Toreinfahrt innehielt, hatte ich mich in die asphaltenen Bänder der Straße hoffnungslos verstrickt, und die saubersten Hände waren es nicht, die mich freimachten.“

Noch kurz heften wir den Hausgeistigen ans Klingelbrett – wäre es nicht reizvoll in einer Welt ohne Argwohn das Anheften eines Familienbildes an den Klingelschildern zur Regel werden zu lassen? Wie unendlich spannungsvoll, persönlich, und über-raschungsfreudig wäre dies wohl? Natürlich ist die Welt, wie sie ist, aber solange man noch träumen darf, ist auch nichts verloren.
Die Spannung von Faktizität und Utopie ist auch der inhaltliche Dreh- und Angelpunkt der Poesie Nelly Sachs’: Nun endet also unser Labyrinthengang mit einer Nobelpreisträgerin, der sich eigens ein nach ihr benannter Park gewidmet hat, den man fußläufig von Walter Benjamin straßenabwärts rechts liegen findet. Abendsonne, Wasserreflexionen, Vogelgeschrei vom Zoo herüber, Lärm aus den unter der U1-Trasse befindlichen „Akademischen Bierhallen“, wo vor hundert Jahren der Berliner Bär steppte, und die sich nunmehr in ein tristes Wohnhaus verformt haben. Und dieses Etablissement am Ende der Straße des Benjamin, dem die Universität die Habilitation nicht anerkennen wollte, denken wir. Dies ist wohl der Preis dafür, dass sie ihn einhundert Jahre später mit Vorliebe zitiert.
Nelly Sachs – eine Dame mit schwarzer Haube und schönen Augen – können wir im Parke allerdings nirgendwo erspähen. Lediglich einen Stein mit ihrer Namensgravur sitzt gemütlich auf der Wiese. Ein Mann hastet an uns vorüber zur nahegelegenen Bahnstation hin, erblickt unsere suchenden Köpfe und ruft uns, rückwärts vorwärts laufend, zu: „Wenn sie Nelly Sachs suchen – die ist in Schweden. Ich fahre sie heute besuchen…“ Schöne Grüße! – irgendwie kommt uns der Mann bekannt vor; seine hohe, eindringliche Stimme und sein stechschwarzes Augenpaar erinnern an Paul Celan.
Mit buchstäblich einem der letzten Flüge entgeht Nelly dem sicheren Fall ins Grab, als sie mit ihrer Mutter 1940 nach Stockholm flieht, und dem bereits ausgestellten Deportations-Befehl nicht Folge leistet. Nationalschriftstellerin Selma Lagerlöf hatte es der fünfzehnjährigen Nelly angetan, ein jahrelanger Briefwechsel und eine zentrale geographische Veränderung der Lebenslinie nehmen ihren Lauf. Ihren unbekannten Geliebten muss sie in Deutschland zurücklassen und ihn dem Sterben im Konzentrationslager überantworten. Es ist bezeichnend für den Charakter Nelly Sachs, dass die akribisch detektive Forschung es nicht vermocht hat, den Namen ihres „toten Bräutigams“, aus dessen Tod ihre „ganze Dichtung erwachsen ist“, zu ermitteln, denn das mystische Nicht-Sagen, Aussparen und Verschweigen gehört ganz fest zu ihrem Wer, welches hier an die Negative Theologie gemahnt. „Aus dem Schweigen“ erstehe die Kraft, die der Schöpfung und sämtlichen Lebenslinien ihren Lauf gibt. „Im Park Spazierengehen – /die Eingeweihten/ nur vom Stimmband des Blitzes aufgeklärt/ an den Kreuzwegen das unbeschriebene Pergament/ der Schöpfung einatmend/ wo Gott wie ein fremder Saft im Blute/ seine Herrlichkeit anzeigt.“

Auch diesen Gott durften wir heute schließlich noch kennenlernen, umrankt von letzten Abendstrahlen, die perlweinerne Flasche grundlos immer von neuem mit rauschhafter Poesie leerend. Flankiert von allen Köpfen, Lasker-Schüler, Wedekind, Arno und Joseph Roth, die heute über unseren Weg rollten, setzen wir uns freigeistig in Richtung Nelly Sachs’ Geburtshaus in der Maaßenstraße in Bewegung, und fast ist es so, als hörte man sie allesamt Wörter biegen, als hörte man zwanzig Radiosendungen gleichzeitig. Mal spielt sich die eine Stimme in den Vordergrund, bald eine andere, teils singen sie Duett. Am Nollendorfplatz sehen wir wieder die Kinder mit den Schulmappen rennen „Hier ist aus einem Kellerlokal einmal ein Betrunkener  auf die Kinder zugetorkelt und hat sie gestreichelt und dann plötzlich geschlagen, ein weinig weiter, auf dem Platz schon, ist gerade neben ihnen eine Frau zusammengebrochen, eigentlich in sich zusammengesunken, kreideweiß, knochenlos und die rasch herbeigeeilten Erwachsenen haben die Köpfe geschüttelt, haben Hunger, nichts als Hunger gemurmelt und nach der Polizei gerufen.“
Wir können die Kinder nicht mehr weit verfolgen, denn „hier biegen sie schon in die Kleiststraße und rennen wieder, aber mit aufmerksam nach links gewendeten Köpfen, um den Augenblick nicht zu verpassen, in dem die rote U-Bahn aus der Tiefe auftaucht oder sich vom hohen Damm in die Tiefe hinabstürtzt, der Station Wittenbergplatz zu.“ Die in sich zusammensinkende Frau und die zahllosen sich vor dem Bahnhofsgebäude verlebenden Obdachlosen haben den eben noch in seiner vollen luziden Größe vor unserem inneren Auge oszillierenden mystischen Gott binnen Sekunden aus unserem Bewusstsein gedrängt, und eine andere Stimmkurve schallt mehr und mehr angesichts des grauen omnipräsenten Unglücks durch unsere angefüllten Köpfe – die Georg Heyms, die den Tauben Gehör und den Stummen Rede schenken möchte. Ganz einhellig stimmen wir zu und ein, in das Stimmengeflecht, das sich wie von fern gesteuert auf unsere Stimmbänder überträgt, und wir unwillkürlich zu Mitpoeten werden, die Ganzheit unseres momentanen und geistigen Gesichtsfeldes zu Worten gerinnen lassend, klagt auch der andere Gott, oder seine tiefschwarze Seite ihr Recht ein: „dort flattern und schwingen sie/ mit müdem und doch so nervösem/ flügelschlag und warten dass ihnen/ die zwölfteste stunde schlägt –/ die tauben vom nollendorfplatz/ laut dröhnend lachend sitzt er/ hoch oben auf seinem thronigen/ turm umrauscht von schwarzen/ günstlingen krähend verkünden/ sie sein credo – gott der stadt/ taubstumm unterwerfen sich alle/ tauben seinem richtspruch, sie die/ immer untergeben sind stimmlos/ vergebens hausen sie unter eisernen/ unterführungen und ducken/ geworfenheitig unter gottes/ führung ihr haupt/“

Die Wellen der Stimmenflut interferieren, das Knäuel umspannt uns in Lebenslinien und Stimmfetzen wie einen Kokon, auf der obersten Schallwelle wellenritten wir noch bis ganz in den Moment selbststimmig mit, die Stimmenflut zieht wie ein Gewitter weiter ins Nirgendwo, verhallenderweise setzt sie sich wie ein Tee-Satz in unsere sandbänkenen Köpfe ab und wir, – wir kehren unterdes gedankenversunken Heym.
unter Verwendung von „Literarisches Berlin“ Michael Bienert, Verlag Jena1800.
Ende

Mit einem Schulhof-Schwimmbad gelingt jede Fusion

Die Endjahresferien 2010 haben sich die SchülerInnen der Grundschule Tiergarten – Süd wirklich verdient.

Grundschule Tiergarten – Süd: hinter diesem Abstraktum verbergen sich die ehemalige Grips-Grundschule und die Fritzlar-Homberg-Schule, die seit der Bekanntgabe ihrer Fusion vor mehr als einem Jahr einen wahren Wirbelwind hinter sich haben. Mit vielen Mitteln kämpften Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen der Grips- Grundschule gegen die Schließung, die angeblich aufgrund Mangel an zukünftigen SchülerInnen zustande kam.

Im Februar 2010 musste es auf einmal ganz ganz schnell gehen. Umzug hieß es, Fusion und damit Chaos und viel Konfrontion.

Denn die beiden Schulen hatten nicht nur unterschiedliche Profile – Grips / Lesen und Fritzlar-Homburg / Musik – sondern waren auch Ganztags- und Halbtagsschule. Die Grips-SchülerInnen sollten in die Fritzlar-Homberg-Schule ziehen, und es war nicht ganz klar, wie aus Gästen wirkliche MitschülerInnen werden könnten. Der Umzug bedeutete auch den Abschied von einer Direktorin. Außerdem war die Schule zu klein, deshalb musste das Lernhaus Pohlstraße leergemietet werden und diese Entwicklung bedeutete das Aus für VHS, Berufsberatung und andere Initiativen im Stadtteil.

(Warum musste es eigentlich alles so schnell gehen? Vom Collège Voltaire – einer französischen Privatgrundschule, die der staatlichen Pariser Zentralstelle für französische Auslandsschulen untersteht – fehlt bis heute jede Spur. An sie verkaufte der Bezirk Mitte das Gebäude, weil sie von Reinickendorf nach Tiergarten-Süd ziehen wollten. Doch die ehemalige Grips-Grundschule ist bis heute verwaist).

Zurück zu den Schulen. Wir alle haben schon Wohnungsumzüge erlebt, weitaus weniger Menschen den Umzug einer ganzen Firma – doch ein Schulumzug und dann gleich in eine Gemeinschaftsunterkunft und dann unter den oben beschriebenen negativen Vorzeichen.

Schön ist anders! Was also tun?

Theaterpädagogen der GRIPS Werke e.V. und dem GRIPS Theater Berlin mischten in einer Projektwerkstatt kurzerhand die SchülerInnen von sechs Klassen samt LehrerInnen und ErzieherInnen. An jeweils vier Tagen erkundeten sie Orte der neu-gemeinsamen Schule, spielten Theater, improvisierten, malten, erzählten, führten Interviews, erfanden Kurzszenen und machten Fotos.

Expedition Neuland – Logbuch einer Annäherung“

Dieses Kunst-Theaterspektakel kam Anfang Dezember auf die Bühne. Da waren Bolzplatz-Konflikte, Mediathek-Abenteuer, Flur-Rhythmen, eine Schulhofinsel „Neuland“ zu sehen. Nicht zu sehen war, welche Kinder nun aus welcher Schule kamen, welche LehrerIn schon länger kannten, wer sich was für den neu-oder-alten Schulhof wünschten und wer zuvor eher musiziert oder gelesen hatte.

Der Wunschschulhof

Publikum und Theaterleute waren sich einig: die Fusion funktioniert nicht nur auf der Bühne sondern auch im Alltag.

Dann auf ein Frohes Jahr 2011. Mit diesen Vorzeichen gelingt sicherlich auch die Reise zu einem neuen Namen.

Ergebnisse der QR-Wahl Magdeburger Platz

Quartiersrat265 Menschen haben im Quartier Magdeburger Platz in der letzten Woche ihre Stimmen abgegeben und damit den neuen Quartiersrat gewählt. Diese Wahlen sind nicht mit allgemeinen politischen Wahlen zu vergleichen, eher mit denen in Kirchenräten, Schulelternversammlungen und ähnlichen Gremien. Sieht man zu anderen Quartiersmanagementgebieten in Berlin, ist die Wahlbeteiligung von 3.1 Prozent, die hier erreicht wurde, sogar eine Spitzenposition.

Von den Gewerbetreibenden und Beschäftigten der Partner der Quartiersentwicklung nutzten 23 Prozent die Chance dieser Bürgerbeteiligung im Quartier. Gut drei Viertel der WählerInnen waren AnwohnerInnen.

Die Themen Soziales, Bildung, Kinder und Jugendliche standen bei den Themen, die die KandidatInnen repräsentierten ganz klar im Vordergrund. So erhielt das Tandem Jugendkulturzentrum Pumpe / Schulzentrum FHG / Grips die meisten Stimmen von den Partnern der Quartiersentwicklung.

Im neuen Quartiersrat, der sich im Januar 2011 konstitutiert und für die Jahre 2011/2012 gewählt ist, werden acht AnwohnerInnen und sieben Partner der Quartiersentwicklung vertreten sein.

Wer sind die Mitglieder im neuen Quartiersrat?

Liste der AnwohnerInnen im Quartiersrat Magdeburger Platz 2011/2012

Liste der Partner der Quartiersentwicklung im Quartiersrat Magdeburger Platz 2011/2012

Vor der Party ist bei der Wahl

Am Freitag, den 26. November 2010, wird von 14 – 19 Uhr der Quartiersrat im QM-Gebiet Magdeburger Platz in Tiergarten-Süd gewählt.

Der Quartiersrat (QR) ist ein gewähltes Bürgergremium mit Vertreter/innen der Anwohner, des Gewerbes vor Ort und der Einrichtungen und Initiativen, die „Partner der Quartiersentwicklung“ sind. Die QR-Mitglieder entscheiden über die Projekte mit, die im Gebiet mit Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt gefördert werden, und kümmern sich auch sonst um Vieles, was im Kiez passiert.

Wählen darf jedeR, der/die im Quartier wohnt und dies mit der Vorlage eines Personalausweises oder einem entsprechenden Dokument nachweisen kann. Auch wahlberechtigt sind Gewerbetreibende und Beschäftigte bei einem Partnern der Quartiersentwicklung. Auch hier ist ein Bestätigungsschreiben notwendig.

Mehr Informationen zum Quartiersmanagementverfahren erfahren Sie hier
Zu Wahl und Quartiersrat hier

Und hier erfahren Sie jetzt alles zur Wahlparty, die wir mit AnwohnerInnen, Sympathisanten, Durchreisenden, Eingeladenen, Ausgeschlossenen, Weltenbummlern, dem QM, dem Bezirk, dem Senat, dem Staat und ohne Vorlage irgendwelcher Bescheinigungen feiern wollen.

Wahlparty
Freitag, 26.11.2010 ab 19.00 Uhr
im Café Isotop, Pohlstraße 64

qr

Programm

19.00 Uhr – Beginn – Essen – …
20.00 Uhr – Verkündung des Wahlergebnisses
21.00 Uhr – Kabarett
danach – Feiern, sich Freuen und das Leben genießen.

Ab Dienstag, den 30. November sind alle Informationen zum Ausgang der Wahl unter www.tiergarten-sued.de zu finden.

Kleine Quartiersrats-Wahl-Info für den Bezirksverordneten Dr. Streb / CDU-Fraktion Mitte

Schon unterzeichnet? Petition beim Bundestag : Rettet die Soziale Stadt. Hier geht’s lang . Doch dann bitte zurückkommen.

Geneigte LeserInnen des potseblog,

Am 26. November wird in Tiergarten-Süd ein neuer Quartiersrat gewählt. Darüber wurde an dieser Stelle schon mehrfach berichtet, weil

  1. ich bereits Mitglied in diesem Gremium bin und für die IG-Potsdamer Straße kandidieren werde
  2. der Quartiersrat seine eigene Wahlkampagne entwickelt und dies im Vergleich zu anderen Quartieren eine ungewöhnliche Tatsache ist
  3. es bereits einen Aufruf zum Wahlboykott gegeben hat, was wiederum auch sehr seltsam ist, weil der Aufrufer nun wahrscheinlich selbst kandidiert.

Nun gibt es

4. Eine Kleine Anfrage des Bezirksverordneten Dr. Streb / CDU-Fraktion Mitte zu den Wahlmodalitäten für die Quartiersrats-Wahl im QM-Gebiet Magdeburger Platz

Die geneigten LeserInnen des potseblogs sind sicherlich auch an diesem Thema interessiert, weil sie ggf. potenzielle WählerInnen. Das sind Sie, wenn Sie entweder

– AnwohnerInnen im Gebiet Tiergarten-Süd
und/oder
– Gewerbetreibende im Gebiet Tiergarten-Süd
und/oder
– Beschäftigter der Partner der Quartiersentwicklung sind. (siehe unten (1)

Doch zurück zur Kleinen Anfrage. Ich (schrieb Dr. Streb) frage das Bezirksamt:

  1. Trifft es zu, dass die Steuerungsrunde des QM Magdeburger Platz dem Vorschlag der derzeitigen Quar­tiers­rates zugestimmt hat, wonach „neben den Bewohnern auch Personen wählen dürfen, die in einer Ein­richtung arbeiten, die für die Quartiersentwicklung wichtig ist (z.B. Partner der Quartiersentwicklung im Sinne § 1 Ziffer 4 der aktuellen GO), oder Gewerbetreibende sind, aber nicht dort wohnen?
  2. Wenn ja, welche Gründe wurden hierfür vom QR angeführt, und welche Gründe gab es für die Steuerungs­runde, hierbei besonders für die Vertreter von SenStadt und BA, diesem Vorschlag zuzustimmen?
  3. Wie viele Personen zusätzlich hätten bei der derzeitigen Zusammensetzung des QR dann ein Wahlrecht?
  4. Kam der Vorschlag von einem Mitglied der Anwohnerschaft oder einem Institutionsvertreter?
  5. Gab es derartige Vorschläge schon in anderen QM-Gebieten? Wenn ja, in welchen?

Dr. Streb

Ich (schreibe ich) sehe das so:

Zu 1.
Ja

Zu 2.

a.) Ich war bei der Steuerungsrunde nicht dabei, doch ist es so, dass die neue Geschäftsordnung des Quartiersrats Magdeburger Platz auf der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vorgegebenen Rahmengeschäftsordnung beruht. Die Formulierung von § 2, Absatz 3 wurde wörtlich in die GO des Quartiersrats übernommen. Deshalb wäre es m.E. eher erstaunlich, wenn SenStadt und BA auf einmal Einwände erhoben hätten.

Hier der Text Wortlaut von § 2, Absatz 3: Wahlberechtigt, d.h. berechtigt den QR zu wählen, sind alle Bewohner/innen, die im mit Senatsbeschluss räumlich abgegrenzten Teil des Quartiersgebietes wohnen und mindestens 16 Jahre alt sind. Ob auch Personen wählen dürfen, die in einer Einrichtung arbeiten, die für die Quartiersentwicklung wichtig ist (z.B. Partner der Quartiersentwicklung im Sinne § 1 Ziffer 4), oder Gewerbetreibende sind, aber nicht dort wohnen, entscheidet die Steuerungsrunde in Abstimmung mit dem QR der noch laufenden Amtperiode.

b.) Außerdem: siehe Drucksache Nr. 529/III der Bezirksverordnetenversammlung:

Die Bezirksverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 22.11.07 folgendes Ersuchen an das Bezirksamt beschlossen (Drucksache Nr. 529/III):
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Das Bezirksamt wird ersucht, einheitliche und verbindliche Verfahren für Quartiersrats- und Vergabebeiratswahlen und die Arbeit der Räte festzulegen und umzusetzen.

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Dabei sind folgende Grundsätze einzubeziehen:
Wahlberechtigung: Die Wahlberechtigung zu den Quartiersrats- und Vergabebeiratswahlen wird beschränkt auf die in den jeweiligen Gebieten Wohnenden oder Arbeitenden bzw. sozial und ehrenamtlich Tätigen sowie Grundstückseigentümern. Hierzu sind einheitliche Nachweisverfahren festzulegen und anzuwenden.

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Das Bezirksamt hat am 14.10.2008 beschlossen, der Bezirksverordnetenversammlung dazu Nachfolgendes als Schlussbericht zur Kenntnis zu bringen.

Nach Diskussion über die BVV-Vorlage zur Drucksache 529/III vom 29.05.08 im BVV-Ausschuss Soziale Stadt und die hier vereinbarte Erörterung der Thematik im Rahmen des regelmäßigen Gesprächs zwischen dem Bezirksbürgermeister und den VertreterInnen der Quartiersräte bekundeten die Quartiersräte, u.a. mit Blick auf die Legitimation, ein hohes Interesse an der Vereinheitlichung der Wahlmodalitäten.

Zu 3.
Hoffentlich möglichst viele, denn je mehr Menschen hier im Quartier sich für die Entwicklung des Quartiers interessieren (und zur Wahl zu gehen ist für mich ein erstes Indiz hierfür) desto besser. Ich finde es auch absonderlich, Partner der Quartiersentwicklung einerseits für eine Mitarbeit zu motivieren und ihnen gleichzeitig zu sagen: „Es gibt den Quartiersrat und der wird auch gewählt. JA, BITTE , schicken Sie VertreterInnen in dieses Gremium, JA, BITTE machen Sie Öffentlichkeitsarbeit für den Quartiersrat. NEIN, ÄTSCHBÄTSCH, wählen dürfen Sie nicht und Ihre Beschäftigten aber nicht.“

Zu 4.
Eine Anwohnerin machte den Vorschlag, den Passus – Ob auch Personen wählen dürfen, die in einer Einrichtung arbeiten, die für die Quartiersentwicklung wichtig ist (z.B. Partner der Quartiersentwicklung im Sinne § 1 Ziffer 4), oder Gewerbetreibende sind, aber nicht dort wohnen, entscheidet die Steuerungsrunde in Abstimmung mit dem QR der noch laufenden Amtperiode – aus unserer GO zu streichen.

So könnten nur AnwohnerInnen wählen. Ich habe (siehe zu 3.) dagegen argumentiert.

Letztendlich kam es zur Abstimmung über den Vorschlag der Anwohnerin: Bei 14 Stimmberechtigten – Ja: 2 / Nein: 11 / Enth: 1 . Das passiert bei demokratischen Entscheidungen und bei dieser waren sowohl AnwohnerInnen als auch InstitutionsvertreterInnen anwesend.

Zu 5.

Das würde mich auch interessieren. Könnte natürlich über Facebook und Twitter schon mal bei ein paar KollegInnen nachfragen. Doch warte jetzt gespannt auf die offizielle Antwort des Bezirksamtes-Mitte.

Regine Wosnitza

(1) Sind Sie, geneigteR LeserIn, bis zu dieser Stelle gekommen? Gut. Denn ob Sie auch Angestellte eines Partner der Quartiersentwicklung sind, ist aufgrund der neuen Rahmengeschäftsordnung, etwas kompliziert zu erklären. Doch keine Sorge, Sie werden es auf jeden Fall merken, wenn Sie es sind. Außerdem wird das Thema demnächst hier als Fachartikel behandelt.