Im Mai fand in der Kita Sonnenschein, Pohlstraße, ein Elterncafé zum Thema Prostitution statt. Elterncafés sollen die Begegnungs-, Gesprächs- und Informationsmöglichkeiten für Eltern in Schulen und Kitas in Tiergarten-Süd ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist die Eigeninitiative und Teilhabe von Eltern zu stärken und ihr Bewusstseins und ihre Bereitschaft für die Erziehungsverantwortung zu mehren.
In Tiergarten-Süd gibt es seit Ende 2009 Elterncafés und und für diesen Tag im April stand das Thema „Prostitution im Kiez“ auf dem Programm. Circa 40 Mütter waren anwesend, die überwiegende Mehrheit mit Migrationshintergrund, denn trotz einer fünfzig-fünfzig Mischung in der Gesamtbevölkerung von Tiergarten-Süd sind Kinder mit Migrationshintergrund in den Bildungseinrichtungen überproportional vertreten.
Zusammenhänge interessieren nicht
Ich war von der Projektleiterin Yasmin Masch gebeten worden, die Geschichte der Prostitution zu behandeln. Durch die 3.000 jährige Prostituionsgeschichte flog ich ein etwa vier Minuten und widmete mich dann der Situation vor Ort. Hier gibt es den Straßenstrich in verschiedenen Ausformungen seit ungefähr 1880.
Doch schon nach wenigen Minuten wurde ich unterbrochen: „Die Geschichte interessiert uns nicht, wir sind aus anderen Gründen hier.“ Als andere Mütter widersprachen fuhr ich mit meiner Schilderung fort. Doch mit der Erwähnung des Prostitutionsgesetz von 2002 und der damit verbundenen grundsätzlichen Legalisierung von Prostitution auch auf dem Straße um die Kurfürsten- und Frobenstraße war mein Vortrag zu Ende.
„Immer hören wir von den Rechten der Prostitutierten,“ kam eine erboste Reaktion. Es folgte: „Was sind denn unsere Rechte?“ und „Ich möchte wissen, ob die Frauen auf dem Podium Kinder haben, sonst können Sie überhaupt nicht mitreden.“
Erboste AnwohnerInnen gegen den Strich.
Ich habe mir die Namen der circa fünf Frauen, die sich an der eineinhalbstündigen Diskussion am intensivsten beteiligten nicht notiert. Es geht nicht um Einzelpersonen. Sondern um die Bevölkerungsgruppen, die den Straßenstrich hier weg haben wollen und dabei wenig kompromissbereit sind.
So gab es vor einiger Zeit eine Initiative von AnwohnerInnen in der Zietenstraße hinter der Zwölf-Apostel-Kirche, die nachts auf die Straße gingen, um Freier und Prostituierte von unziemlichen Treiben in dieser Sackgasse und den Nachbarstraßen abzuhalten. Beim letzten Sonderpräventionsrat Prostitution im November 2009 in Schöneberg-Nord ging es so lautstark und heftig zu, wie es meistens der Fall ist, wenn dieses Thema verhandelt wird. In diesen beiden Fällen waren AnwohnerInnen ohne Migrationshintergrund die protestierenden WortführerInnen. Die Argumente beider Gruppen sind kongruent.
Verständnis erbeten
An dem erwähnten Morgen wurden zumindest die erklärenden und zum Verständnis auffordernden Statements von Michaela Klose, der Leiterin des Frauentreffs Olga in der Kurfürstenstraße, höflich angenommen, doch eigentlich auch nicht weiter beachtet.
Anzeigen von Straftaten
Großes Interesse hingegen fand der Kontaktbereichsbeamte. Heftigen Vorwürfen, dass die Polizei ja doch nichts tue, erklärte er mehrere Male die einzige Vorgehensweise mit der AnwohnerInnen einen vermehrten Einsatz der Polizei erreichen können: Anzeigen, Anzeigen, Anzeigen von Straftaten.
Denn die Frauen berichteten von Vorkommnissen, bei denen eine Anzeige notwendig gewesen wäre. Eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn und sein Großvater auf dem Weg zur Schule durch die Kurfürstenstraße gefahren seien und eine Prostituierte den Großvater sehr deutlich und vehement durch das offene Fenster hindurch als potenziellen Kunden angesprochen hatte. Eine andere Frau hatte offenen Vollzug der sexuellen Dienstleistung auf dem Parkplatz von Möbel Hübner beobachtet, einer weiteren war dies an der Schnittstelle Kluck- und Pohlstraße passiert. Glücklicherweise schauten ihre Kinder zu dem Zeitpunkt in eine andere Richtung. Eine weitere Frau berichtete von dem regelmäßigen Vollzug von Dienstleistungen in einem Hinterhof in der Pohlstraße. Die nächste hatte eine Messerstecherei im Umkreis des LSD Sexkaufhauses beobachtet.
Die Frauen hätten Angst, sagte eine ihrer Sprecherinnen, die Polizei zu rufen. Sie wollten in Zukunft jedoch die Vorfälle auflisten und diese dann einmal im Monat an die Polizei übergeben. Doch auch dies kann von der Polizei nicht als ein Hinweis vermehrter Straftaten im Kiez angenommen werden.
Den Frauen wurde geraten, sich in sichere Entfernung zu der von ihnen beobachteten Straftat begeben und dann die Polizei rufen und eine Anzeige machen. Unumgänglich ist dabei die Nennung des Names. Anonyme Anzeigen tauchen in keiner Statistik auf. Doch es sei nicht gefährlich den Namen zu nennen, wurde immer wieder versichert, denn in den seltensten Fällen würden die Täter den Menschen nachstellen, die sie angezeigt hätten.
Doch warum ist es so wichtig, diese Fälle zur Anzeige zu bringen? Solange kein vermehrtes Anzeigenaufkommen statistisch nachweisbar ist, fährt die Polizei nicht vermehrt Streife durch die Straßen im Kiez. Auch die Zahl der Zivilbeamten, die regelmäßig vor Ort sind und natürlich nicht von der Bevölkerung als solche erkannt werden, kann nicht aufgestockt werden.
Die Frauen horchten auch interessiert auf, dass sie Vorfälle auch bei Olga melden könnten. Die Sozialarbeiterinnen suchen dann das Gespräch mit den Prostituierten und weisen immer wieder darauf hin, dass hier kein Sperrbezirk ist, sondern sie sich in einem Mischgebiet mit einem hohen Anteil an kinderreichen Familien befinden. Sie werden dann gebeten, sich an gewisse Spielregeln und Gesetze zu halten, zum Bespiel nicht direkt vor Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen zu stehen, PassantInnen nicht auf Deubel komm raus akquirieren zu wollen und auch das Umfeld der Moschee in Ruhe zu lassen.
Sperrbezirk oder am besten ganz weg
Der Kampf gegen den Straßenstrich hat die Mütter inzwischen soweit aktiviert, dass sie eine Unterschriftenaktion gestartet haben. „Wir Anwohner in Berlin-Tiergarten,“ heißt es da, „freuen uns über die Initiative von Stadtrat Carsten Spallek, die Prostitution örtlich und zeitlich zu begrenzen (Berliner Woche vom 14.4.2010). Es ist uns unbegreiflich, warum Bezirksbürgermeister Hanke seit Jahren nichts unternommen hat. Wir fordern eine zeitliche Begrenzung von 21 bis 6 Uhr und weitere Maßnahmen.“