Schlagwort-Archiv: Verkehr

Wo den Ampelmännchen die Hüte fehlen…

Von Gastbloggerin Birte Evenburg

„Was macht ihr so im Internet?“ Eine der entscheidenden Fragen zum Kursbeginn am vergangenen Montag. Ungefähr 168 Stunden sind seit dem vergangenen und jetzt sitze ich am Küchentisch, klappe mit einer noch vom Schlaf erzählenden Geste den Laptop auf und schaue nach, wie ich am besten zur Potsdamer Straße gelange. Keine Recherche, nur nachschlagen. Bülowstraße. Mein noch nicht ganz erwecktes Bewusstsein entzündet ein Lichtlein in der hintersten Ecke meines Gehirns. Ja, da bin ich schon einmal ausgestiegen. Missmutig ob des Regens spanne ich meinen Schirm auf. Los geht’s.

Angekommen gilt meine Aufmerksamkeit zunächst der Commerzbank, auf die man bereits vom Gleis aus einen Blick werfen kann. Irgendwo dort unten muss die Gedenktafel für Klaus-Jürgen Rattay sein.

Links oder Rechts? Ich entscheide mich für Links. Die Ampelmännchen sehen irgendwie anders aus. Der Hut fehlt. Ach ja, ich bin ja jetzt im Westen. Grün. Rot. Was war denn das? Will man hier unversehrt die Straße überqueren, muss man wohl einen Schritt zulegen. Links war eine schlechte Wahl. Natürlich laufe ich in die falsche Richtung, was dem fehlenden Hunderter auf einem Straßenschild geschuldet ist. Also umdrehen und wieder einen Blick auf das rote ungewohnte Ampelmännchen werfen. Die Ostampelmännchen sind eindeutig lieber grün. Und die Ampelphasen länger, denn kaum betrete ich die Fahrbahn hat der kleine strenge Westampelmann auch schon wieder seine obere Position eingenommen. Ich entscheide mich für den ampelärmsten Weg, um die Bülowstraße erneut zu überqueren. Alte und gehbehinderte Menschen tun mir leid. Da kann man ja wirklich nur rot sehen.

Endlich auf der richtigen Seite und damit direkt vor der Commerzbank, schwirren mir immer noch die fußgängerfeindlichen Ampelphasen im Kopf herum, so dass ich prompt an der Gedenktafel vorbeilaufe.

Nach knapp 500 Metern ist das Ziel erreicht. Die Regenwolken sind größtenteils verschwunden und die Sonne lässt sich blicken. Der Hinterhof gefällt mir. Alter Backsteinfabrikcharme. Ein guter Ort, um Kunst auszustellen, wie ich finde. Vor allem freie Kunst, schließlich bleibt genug Luft zum Atmen, Schauen, Denken. Darin ein Café, behutsam bedeckt durch eine schöne Gewölbedecke. So einen langen Tisch hätte ich auch gerne. Der Charme passt zum Wetter, die kühle Steinatmosphäre wird durch Sonnenblumen und einen an der Wand hängenden Heizkörper erwärmt. „Villa Allende“, der Name passt, nicht zuletzt angesichts der in die Heizkörperzwischenräume gestellten Bücher. Hier wird einem ganz bestimmt warm um’s Herz beim Lesen.

In fast vollständiger Runde versammelt, bricht man auf zur Exkursion. Mir fällt das fast direkt gegenüberliegende Varieté auf. Wieder leuchtet eine Glühbirne in meinem Kopf, dieses Mal nicht in der hintersten Ecke. Ein paar Mal bin ich hier schon vorbeigefahren. Folglich kommen mir auch die nächsten Hunderte von Metern Richtung Potsdamer Platz bekannt vor. Einzig der Kontrast zwischen Neuer Nationalgalerie und dahinter liegender Kirche sticht mir erst jetzt ins Auge. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet ein über 150 Jahre altes Bauwerk die sterile, leere Atmosphäre dieses Teils der Potsdamer Straße, der durch in den Himmel ragende gläserne Neubauten rund im den Potsdamer Platz gesäumt wird, auflockern kann.

Gespannt auf die Themen der anderen, lausche ich den vor der Neuen Nationalgalerie gehaltenen Projektvorstellungen. Das Thema „Ampel“ zieht sich durch den heutigen Tag wie ein roter Faden – im wahrsten Sinne des Wortes. Die erste Ampel Berlins wird thematisiert und vor meinem inneren Auge taucht die Uhr auf dem Potsdamer Platz auf, die für mich erst jetzt die Bedeutung erlangt, die ihr eigentlich zufällt; war sie bis jetzt doch vor allem idealer Treffpunkt bei Demonstrationen.

Durch einen schönen Park, der die Sterilität des Potsdamer Platzes vergessen lässt, geht es zurück zum „Freien Museum“. Zum Glück mussten wir keine durch Ampelschaltung geregelten Straßen überqueren. Das Haus, in dem Mark Twain einige Monate seines Lebens verbrachte, versetzt mich für einen Augenblick zurück in meine Kindheit.

Der Schöneberger Teil der Potsdamer Straße gefällt mir besser. Irgendwie ist hier mehr Leben. Vorbei am LSD, biegen wir in einen Hinterhof ab. Das ehemals besetzte Haus in der Nummer 130 erweckt nicht nur mein Interesse, sondern besticht durch seinen Altbaucharme, den bewachsenen Eingangsbereich und die in Petrol gehaltenen Fensterrahmen. Wunderschön.

Zurück an der lärmenden Hauptstraße bleibt die Gruppe an einer, wie könnte es anders sein, roten Ampel stehen. Hier erhält der Begriff „Rotlichtbezirk“ eine völlig neue Bedeutung. Grün. Rot.

Die letzte Station des heutigen Tages ist der Platz, an dem sich ehemals der Sportpalast befand, der traurige historische Bedeutung erlangte. Hier war ich noch nie. Es ist fast etwas schockierend, wie unscheinbar dieser Ort ist. Heute erinnert lediglich eine Gedenktafel im Innenhof eines Wohnkomplexes an die einstige Veranstaltungshalle.

Mein Blick richtet sich ohnehin mehr auf die direkt gegenüber liegenden ehemals besetzten Häuser. Auf dem Rückweg zur U-Bahn frage ich mich, wie ich es wohl anstellen könnte, mit früheren Besetzern ins Gespräch zu kommen. Dieser Gedankengang wird an der nächsten Kreuzung gestört. Grün. Rot. Es ist einfach nicht zu fassen, dass nur knapp drei Kilometer von dem Ort, in dem die erste Berliner Ampel in Betrieb genommen wurde, eine derart schlechte Ampelschaltung regiert. Ich freue mich auf die Ostampelmännchen.

Die Pallas hat sich ausgerast

Wer dieser Tage zu Fuß von der Goebenstraße kommend die Potsdamer Straße überquert, am Pallasseum vorbeigeht und dort vielleicht erst noch mal die Satellitenschüsseln bestaunt, bemerkt die Veränderung vielleicht gar nicht sofort. Doch allmählich sickert es ein. Autos fast im Schritttempo, weniger Geräusche, weniger Hektik. Was ist da los?

SDC12499.JPG

Damit ist ein monatelanges Tauziehen zu einem guten Ende gekommen. Erfolgreich gezogen hat das „Aktionsbündnis Verkehrssituation Pallasstraße“, ein Zusammenschluss von AnwohnerInnen, Quartiersmanagement, QuartiersrätInnen, Schulen, Bibliothek. Pünktlich zum Schulanfang war dann auch die Senatorin für Stadtentwicklung Frau Ingeborg Junge-Reyer vor Ort und eröffnete die Tempo-30-Zone Pallasstraße. Bertram von Boxberg war mit der Kiezkamera dabei.

Nun trug sich vor ein paar Tagen folgende absurde Situation zu. Ein Anwohner trat aus dem Haus, freute sich an der neuen Verkehrsituation, bestieg sein Fahrrad, wunderte sich und fuhr über den neuen Zebrastreifen. Ganz fertig sah der noch nicht aus, doch die Autofahrer hatten ja nun in dem langsamen Tempo genügend Zeit, dieses Verkehrslenkungsmittel zu beachten und hielten korrekt an. Der Fahrradfahrer radelte hinüber UND kam jäh zum Stop. Ein Polizeibeamter hielt ihn an und sprach: „Ich muss Ihnen sagen, dass Sie einen Fußgängerüberweg nur zu Fuß, nicht aber auf dem Fahrrad fahrend überqueren dürfen. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass dies gar kein offizieller Fußgängerüberweg ist.“  Was also ist das: darf man nun oder nicht, oder wie? Weder Radfahrer noch Polizist wussten Antwort und trennten sich darob einvernehmlich kopfschüttelnd.

Da hatte sich ein Spaßvogel einen Eimer Farbe geschnappt und die Verkehrsberuhigung noch einmal beruhigt. Welch Kommunikation und Ideen Verkehrsberuhigung doch hervor bringt!

Einen Tag, nachdem ich diese Anekdote vernehmen durfte, begab ich mich an den Ort des Geschehens. Konnte nur noch schmähliche Überreste dokumentieren.

SDC12509.JPG

Und auch nicht klären, wer da so fix zu einem „Wisch-weg-die-falschen-Zebrastreifen“-Mittel gegriffen hatte.

Dafür konnte ich sehen, dass Beamte die Tempo 30-Zone zur Geltung lassen kommen wollen. Immer wieder wiesen sie AutofahrerInnen freundlich auf die neuen Schilder hin.

SDC12506.JPG

Das ist ja für AutofahrerInnen auch erstmal zu verdauen. Die Pallasstrasse ist 500 Meter lang und eingebettet in einen Straßenzug, auf dem man mal ruckzuck von Südwesten (Schönefeld-Süd) bis Südosten (Stahnsdorf) 25 Kilometer quer durch die gesamte Stadt fahren kann, ohne das Steuer zu sehr nach rechts oder links reißen zu müssen. Und da – auf einmal: Tempo 30!

Super!Herzlichen Glückwunsch an das Aktionsbündnis.

Denn die Geschwindigkeitsbegrenzung ist hier genau richtig. Hier sind die Spreewaldgrundschule, die Sophie-Scholl-Oberschule, die Stadtteilbibliothek Schöneberg Nord, die Katholische Schule St. Franziskus. Also jede Menge junger Menschen unterwegs.

SDC12501.JPG

Busspur, Tram und Fahrradslalom

Im Herbst 2009 kamen auf einmal die Radwegsschilder wieder.

SDC12268.JPG

FahrradfahrerInnen zwischen Kurfürstenstraße und Lützowstraße mussten zurück auf den Fußgängerweg, ohne dass sich an der Qualität des Fahrradweges irgendetwas geändert hatte. Er entsprach noch immer nicht den Normen von 1,50 Meter Mindestbreite. War immer noch schmal und slalomartig.

SDC12274.JPG

SDC12277.JPG

SDC12279.JPG

Gewiss, auch auf der Wirtschaftsspur ist das Fahrradfahren entlang der Potsdamer Straße nicht unbedingt ein Sonntagsausflug und erfordert besondere Aufmerksamkeit. Doch sie gehörte eine Zeitlang zu den 75 Prozent Berliner Straßen ohne benutzungspflichtig Radweg. Auf ihnen dürfen RadlerInnen direkt auf der Straße fahren. Diejenigen, die es tun, kennen die hupenden AutofahrerInnen mit den besserwisserischen Zeigefingern in Richtung Fußweg.

Mir fehlt die Zeit, sie alle zu einer „Radwegsanfangsbesichtigung“ einzuladen: „Sehen Sie: kein Radwegsschild am Fußgängerweg. Da muss ich nicht drauf.“ Warum? „Sie sind zu holprig, zu schmal und zu unwegsam. Außerdem ist erwiesen, dass RadlerInnen, die von diesen Radewegen kommen, besonders gern von rechtsabbiegenden AutofahrerInnen übersehen werden.“

Wir an der Potsdamer Straße setzten Hoffnung auf den neuen Fahrradbeauftragten Arvid Krenz. Hier in einem Interview mit der taz: „Radfahren muss schnell und bequem werden“

Gemeinsam mit meinem Quartiersratskollegen Jörg Borchardt dachte ich an eine Veranstaltung zu dem Thema. Uns ist die Verlegung des Radweges auf die Straße nicht nur aus Sicherheitsgründen ein Anliegen. Unseres Erachtens würde die Benutzung des Fußgängerweges und das Verweilen in den Straßencafés dadurch ebenfalls an Aufenthaltsqualität gewinnen.

Doch dann machte uns der Blogartikel von vom ehemaligen Fahrradbeauftragten Benno Koch „Streitfall Potsdamer Straße – Fahrradstadt Berlin strauchelt“ am 22. Juni 2010 hellhörig. Neben vielen wertvollen Informationen verwies er auf ein Schreiben der Verkehrslenkungsstelle Berlin. Dort hieß es unter anderem „Bis zur endgültigen Entfernung der Wirtschaftsspur muss die derzeitige Radwegebenutzungspflicht jedoch aus Gründen der Verkehrssicherheit für Radfahrer bestehen bleiben.“

Ich wandte mich an den im Schreiben erwähnten Herrn Kranz und kam in Kontakt mit einem aufgeschlossenen Beamten der Senatsverwaltung. Meine Frage, wann denn mit einer Entfernung der Wirtschaftsspur zwischen Lützow- und Kurfürstenstraße zu rechnen sei, wollte er durch Nachfrage im Amt genau beantworten können.

Nach nur wenigen Tage erhielt ich eine email, die ich hier im Wortlaut wiedergebe. Der erste Absatz erklärt dankenswerterweise den Unterschied zwischen „Wirtschaftsspur“ und „Busspur“ . Dann wird es ein wenig langsätzig, doch die frohe Botschaft ist, dass die Radwegsbenutzungspflicht in nicht allzu weiter Zukunft nicht mehr bestehen wird. Hier die Antwort im Wortlaut:

Die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht auf dem von Ihnen bezeichneten Abschnitt der Potsdamer Straße ist an den Wegfall der jetzt noch vorhandenen sogenannten „Wirtschaftsspur“ geknüpft. Anstelle der „Wirtschaftsspur“ wird dann eine Busspur eingerichtet, welche dann auch für den Radverkehr zur Mitbenutzung freigegeben wird, der Radweg kann dann auf freiwilliger Basis genutzt werden.

Die erforderlichen straßenverkehrsbehördlichen Anordnungen werden durch meine für die Beschleunigung / Optimierung des Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zuständigen Arbeitsgruppe erfolgen.
Nach Rücksprache mit diesem Bereich, ist zur Zeit ein unabhängiges Ingenieurbüro mit der Bestandsaufnahme und der Erstellung von Plänen als Grundlage für die noch zu treffenden Anordnungen beauftragt. Das Ingenieurbüro hat für die Erledigung dieser Aufgabe eine Frist bis Ende August 2010 gesetzt bekommen. Sobald die Pläne vorliegen, wird kurzfristig die straßenverkehrsbehördliche Anordnung für die Wegnahme der Wirtschaftsspur, Einrichtung der Busspur sowie die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht erfolgen. In diesem Anordnungsverfahren sind – gesetzlich vorgeschrieben – mindestens der Straßenbaulastträger und die Polizei zu hören. Deshalb wird dieses Verfahren sich voraussichtlich bis Ende Oktober 2010 hinziehen. Die eigentliche Umsetzung der Maßnahme wird dann vom Tiefbauamt Mitte (zuständiger Straßenbaulastträger) erfolgen.

Sollten Sie in dieser Angelegenheit (oder auch anderen verkehrlichen Angelegenheiten) noch Fragen haben, so stehe ich für die Beantwortung gerne zur Verfügung.

Das lässt doch hoffen. Die Änderungen könnten passieren bevor in circa zwei Jahrzehnten eventuell eine Tram aus der Leipziger Straße über den Potsdamer Platz bis nach Steglitz gelegt wird. Dazu kam vor kurzem eine Meldung in der Berliner Zeitung „Die Straßenbahn nimmt Kurs auf den Westen“ . Denn dann müsste die Straßennutzung in der Potsdamer noch mal neu überdacht werden.

Zwischenzeitlich – genauer nach der Sommerpause 2010 – hätten wir erstmal noch Anregungen zur Fahrradwegeführung. Wir vom Quartiersrat bleiben dran und halten Sie auf dem Laufenden, Radelnden, Fahrenden. Je nachdem.

SDC12269.JPG