Von HU-Gastbloggerin Maria Buro-Witzik
Auf der Verkehrsinsel inmitten der Potsdamer Straße stehe ich und blicke dem Eingang der Winterfeldtstraße entgegen. Das grüne Ampelmännchen macht Pause als wolle die Straße ihre Geheimnisse keinem der in Scharen durch den Kiez strömenden Touristen preisgeben. Tatsächlich beginnt die Straße als reine Wohnstraße mit Dienstleistern und Spätkaufs, südlich schmucke Altbauten, nördlich eher Neubauten. Der schwarze Asphalt scheint zwei Milieus säuberlich voneinander zu scheiden.Es begrüßt mich Marias Änderungsschneiderei. Zwei gemütliche Damen sitzen darin und machen ihrem Versprechen am Schaufenster „Kürzen, weiten, längen, engen“ alle Ehre. Dass ich hier eine nähende Namensvetterin habe, macht mir die Straße sympathisch und der Spaziergang kann beginnen. Eine Muslima überholt mich, während ich noch den ratternden Nähmaschinen zuschaue. Auf der anderen Straßenseite vertreibt „Kalinka“ europäische Waren, die BIG-Partei wirbt mit Multikulti-Toleranz.
Tolerant scheint diese Straße zu sein und so hat ein ausgedienter Drucker auf dem Fußweg ebenso Daseinsberechtigung wie das verlassene Paar schwarzer Lederschuhe ein paar hundert Meter weiter, gegenüber ein zerfetzter Bürostuhl, dann und wann die Blümchen der Gartenguirilla unter den historischen Gaslaternen, einmal ergänzt um eine Krähen-Tränke. Die kleinen Bänke vor den Läden wirken eher dekorierend als nützlich, winzige Türen führen in dunkle Souterrain-Läden. Auf der Straße tümmelt sich um die Mittagszeit niemand. Zwei der wenigen Wirtschaften stehen zum Verkauf, der weltweit erste Japanimbiss hält sich irgendwie über Wasser. All das wird ohne Anteilnahme erduldet.
Die Straße macht ihrem Namensgeber alle Ehre: Winterfeldt ist ein ruhiger Geselle alter preußischer Schule. Toleranz, Ehre und Moral. Das geht ihm über alles und so bezahlt er die Hinrichtungskosten für den besten Freund Friedrichs des Großen, damit dessen Eltern die Gebühren nicht in Rechnung gestellt werden müssen.
Gastronomie am Winterfeldplatz
Das Straßenbild ändert sich erst in der Nähe des belebten Winterfeldtplatzes. Cafés und Restaurants an jeder Ecke. Und wir entdecken endlich das Geheimnis der Winterfeldtstraße: Die Fassade kann täuschen. So muss es beim Inder Amrit sein, denn es sind fast alle Plätze besetzt. Dabei soll er laut bluenoteberlin nur ein einmaliges Erlebnis wert sein. Auch hoffe ich es wirklich für die angeblich so berühmte Cocktailbar Green Door. Eine Getränkekarte preist Cocktails von € 8,50 aufwärts an, das Schaufenster des schäbigen Hauses wird von zwei sich an ihren Geschlechtsteilen beschnuppernden Hunden geziert. Wenn die Bar in der Dunkelheit ihre grüne Pforte öffnet, ist das hoffentlich eher anziehend als peinlich.
Schaufenster der Cocktailbar "Green Door"
Wir kehren im mittelmäßig besuchten Eckstein zum Mittagstisch ein, denn ich erinnere mich, wie Gott einmal zum Propheten Jesaja sagte:„Siehe, ich gründe einen Stein in Zion, einen kostbaren Eckstein. Wer auf ihn vertraut, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28,16). Tatsächlich lohnt es sich, nicht ängstlich weitergeeilt zu sein, denn von hier hat man einen herrlichen Blick auf den Platz und in den westlichen Teil der Straße hinein.
Eingewachsene Fahrräder gehören zum Straßenbild.
Martin aus Karlsruhe stellt fest, dass es hier zum guten Ton zu gehören scheint, wenn man als Hausgemeinschaft an mindestens einem Baum vor dem Wohnhaus ein verrostetes Fahrrad angekettet und gegebenenfalls von Grünzeug umwachsen lassen hat.
Schon ein Stück vom Winterfeldtplatz entfernt wird es wieder ruhiger. Es gibt Antiquariate, die Ölmühle, in der frisches Olivenöl gepresst wird, Goldschmieden, sanierte Altbauten, heruntergekommene Neubauten. Eine schwarze „Pussy Cat“ mit Vorliebe für Käsestückchen und Putenherzen wird vermisst.
Schicke Fassaden – trügt der Schein?
Meiner Begleiterin fallen die in regelmäßigen Abstanden aufgestellten Dixi-Toiletten unterschiedlichster Art auf. Vielleicht sind die Altbauten doch nicht so saniert wie gedacht? Wir erklimmen die schicke Marmortreppe der Nummer 51. Nach dem Erdgeschoss führt eine schäbige Holztreppe in die Obergeschosse, ein uraltes geöffnetes Hoffenster offenbart einen der berühmten Berliner Schrottberge im Innenhof. So trügt der Schein. Und so ruft die Straße selbst immer wieder dazu auf, Vorurteile zu überprüfen, hinter die Fassade zu blicken und den Zauber der Andersartigkeit zu entdecken.