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Weit aus nicht so bunt wie es scheint

In einer Touristenbroschüre wäre dieser Satz vernichtend. Doch als der Polizeipressesprecher ihn heute im Zusammenhang mit Tiergarten-Süd mir gegenüber äußerte, lächelte ich glücklich.

ZWEI GESICHTER
Kiez-Report: Gutes Berlin, böses Berlin
19. April 2010 21.20 Uhr, B.Z.

Tiergarten und Müggelheim: Laut Kriminalitätsstatistik „Guter Kiez, Schlechter Kiez“.
Eine Reportage.

Bei diesem Bericht in der BZ war mir vor fast einem Monat das Lachen vergangen. Ich lese ich diese Zeitung nicht, um gut recherchierte Informationen zu erhalten. Nein, ich lese sie eigentlich nur dann, wenn mal wieder das Gebiet um die Potsdamer Straße herunter geschrieben wird. Und so war es auch hier:

SCHLECHTER KIEZ
Tiergarten (12.500 Einwohner) ist rein statistisch Berlins gefährlichster Kiez. Viele Anwohner stört vor allem die Prostitution an der Kurfürstenstraße.

„Aber auch der Drogenhandel ist schlimm“, berichtet Grundschul-Hausmeister Achim Neumann (44). „Mir haben sie über den Kopf geschlagen, als ich morgens das Schultor aufschloss. Der Hof wurde als Drogenversteck genutzt. Einen Zahn habe ich auch verloren.“ Am Magdeburger Platz klagen Anwohner über nächtlichen Lärm durch Freier und Prostituierte. Eine Kioskbesitzerin: „Ich werde oft beklaut und bedroht. Telefonkarten und Zigaretten sind gefragt, einmal hat man mir auch den ganzen Laden leer geräumt. 15.000 Euro futsch.“
Karolina Filipiak (20, FSJlerin) fühlt sich eigentlich wohl im Kiez, doch sie warnt: „Bei Dunkelheit sollte man gewisse Ecken meiden, nämlich die, wo Prostituierte und Dealer stehen.“

Ich weiß, dass Tiergarten-Süd und Schöneberg-Nord in der Kriminalitätsstatistik immer in den Farben erleuchten, die nichts Gutes verheißen. Doch von all den erwähnten Ereignissen hatte ich im letzten Jahr gar nichts mitbekommen. Also entschloss ich mich zur Nachfrage. Heute erhielt ich telefonisch die Antwort des Polizeisprechers:

Weit aus nicht so bunt wie es scheint

ZITAT 1: „Aber auch der Drogenhandel ist schlimm“, berichtet Grundschul-Hausmeister Achim Neumann (44). „Mir haben sie über den Kopf geschlagen, als ich morgens das Schultor aufschloss. Der Hof wurde als Drogenversteck genutzt. Einen Zahn habe ich auch verloren.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: Der Vorfall ereignete sich im Jahr 2007. Der Hausmeister hat damals keine Anzeige gemacht. Warum er dies nicht tat, ist der  Polizei nicht bekannt. Jetzt hat die Polizei Anzeige gegen unbekannt gestellt.
AUSSAGE : Am Magdeburger Platz klagen Anwohner über nächtlichen Lärm durch Freier und Prostituierte.
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: Es gibt mündliche Beschwerden gegenüber dem KOB über Partylärm und ähnliches. Es gibt jedoch keine einzige Anzeige aus dem Gebiet über die Ordnungswidrigkeit Lärm in Verbindung mit Freiern und Prostituierten.
ZITAT2: Eine Kioskbesitzerin: „Ich werde oft beklaut und bedroht. Telefonkarten und Zigaretten sind gefragt, einmal hat man mir auch den ganzen Laden leer geräumt. 15.000 Euro futsch.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSTELLE: Es liegen drei Anzeigen wegen Einbruchsdiebstahls in einem Kiosk vor. Diese stammen aus den Jahren 2000, 2001 und 2004. Seitdem ist kein weiterer Diebstahl oder ähnliches bei der Polizei angezeigt worden.
Eine Anzeige wegen Raubes ist nie gestellt worden. Zur Erklärung: Der Straftatbestand des Raubes entspricht dem des Diebstahls. Hinzukommen die Komponenten der Gewalt oder Drohung, d.h. einer Nötigung.

ZITAT3: Karolina Filipiak (20, FSJlerin) fühlt sich eigentlich wohl im Kiez, doch sie warnt: „Bei Dunkelheit sollte man gewisse Ecken meiden, nämlich die, wo Prostituierte und Dealer stehen.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: dazu ist nichts gesagt worden.

Die heile Welt ist nicht entlang der Potsdamer Straße zu Hause. Das behaupte ich nicht.

Und ich finde es nur ärgerlich, wenn JournalistInnen mit Hilfe von KiezbewohnerInnen dann noch immer einen drauf setzen und so tun, als wäre hier Sodom und Gomorrha. Denn das ist hier ebenfalls nicht zu Hause.

Und übrigens. Bunt ist es hier auch.  Irgendwie.

Weg isser – der Tagesspiegel

Leere Hülle - nach dem Umzug

Seit Monaten, ja fast Jahren, sprach man an der Potse über den dräuenden Wegzug des Tagesspiegels. Warum tut der das, was wird dann sein?

Schließlich geschah der Umzug dann an historischem Datum – 3. Oktober 2009 – vor nunmehr zwei Wochen. Es gab eine Sonderausgabe, die die Angelegenheit mythisch bis melancholisch zelebrierte.

Einige Tage später fand ich auf Facebook den Eintrag einer Medienkollegin an der Potsdamer Straße: „redaktion tagesspiegel ist weg. weggezogen aus der potsdamer strasse. Wohin?“

Sollte es tatsächlich Menschen geben, die dieses Ereignis nicht minituös beobachtet hatten? Eine nicht-repräsentative Kurzumfrage „Wie ist es an der Potsdamer 10 Tage danach“ ergab folgende Reaktionen in den Geschäften rechts und links des legendären Gebäudes.

„Nein, wir merken keinen Unterschied. Wir sind noch da, das ist die Hauptsache.“ – „Wir vermissen Sie, denn es waren angenehme Menschen.“ – „Manche kommen noch immer, um ihre Medikamente zu holen“ – „Wir haben ihnen angeboten, die Blumensträuße auch an den Askanischen Platz zu liefern“ – „Wie, er ist weg?“

So und so also. Wie die Haltung des Tagesspiegels selbst. Nachzulesen in dem Artikel „Ein Platz in der Geschichte“ der  Sonderausgabe. Dieser schaute sehr pathetisch vor zum neuen Standort am Askanischen Platz: „…dieser Umzug ist etwas anderes: Der Tagesspiegel gehört zu Berlin wie das Brandenburger Tor. Und die historische Mitte reflektiert europäische und deutsche Geschichte in all ihren großartigen und bedrückenden Facetten wie kaum eine andere Metropole.“ Und erleichtert zurück zur Potsdamer Straße:  „Wie das geteilte Berlin, so strahlte dieses Haus etwas Provisorisches aus. Mit seiner für Berlin so gar nicht typischen Fassade schien es irgendwie einen Übergang zu verkörpern.“

Und so schienen auch viele RedakteurInnen fünfzig Jahre halbbeinig woanders gewesen zu sein. Hatten nie den Versuch unternommen, die raue Seele der Potse zu ergründen. In Gesprächen entpuppten sie sich als erstaunlich schlecht informiert über ihr jahrelanges Arbeitsumfeld.

Anders Rüdiger Schaper in seiner lesenswerten Liebeserklärung „Lust und Verlust“ :  „Drei Sätze zur Potsdamer Straße, im Folgenden kurz und liebevoll nur Potse genannt. Erstens: Nach bald dreißig Jahren werde ich sie nicht vermissen. Zweitens: Sie fehlt mir schon jetzt. Drittens: Es gibt Menschen und Dinge, von denen kommt man sein Leben lang nicht los. Wahrscheinlich gehört die Potse dazu.“

Der Geschichts-Platz-Artikel hingegen endet: „Der Tagesspiegel, die einzige Abonnement-Zeitung Berlins mit seit Jahren steigender Auflage, in der alten neuen Mitte Berlins – wir sind angekommen!“

Na dann. Ein Adieu von der Potse!

13. Venus Berlin – Teil 2 – Bild und Rammstein

Das wäre ja unglaublich gewesen! Der BZ das Feld an der Kurfürstenstraße überlassen! (potseblog berichtete über die dreiteilige Serie unter „13.Venus Berlin“ vor einigen Tagen) Nein! Am vergangenen Samstag war auch Bild mit der Berichterstattung dabei. Und fand glatt noch eine Frage, die bisher noch nicht gestellt worden war:

Sex für 5 Euro auf Berlins härtestem Strassenstrich

Was sind das für Männer, die diese armen Frauen ausbeuten?

Bild fragt und „ein Kioskbesitzer“ antwortet:  „Diese Männer sind auf der Suche nach dem ganz billigen Sex. Und meistens finden sie eine, die es für noch weniger macht, als ihre Konkurrentin.“

Nun sind es noch 3:00:58:40 Tage/Stunden/Minuten/Sekunden bis die 13.Venus Berlin eröffnet.

Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ihren LeserInnen die Möglichkeit gegeben mehr über die neue Single „Pussy“ von der Band Rammstein zu erfahren. Eine ganze Seite plauderte eine Redakteurin mit Christian Lorenz und Paul Landers. Nicht nur über Sex, aber auch:

FRAGE: Das neue Rammstein-Video ist ein richtiger Porno. War es schwer, noch ein Tabu zu finden?

Christian „Flake“ Lorenz:

ANTWORT:  Eigentlich wollten wir den schon vor Jahren drehen. Man wird sonst zu alt dafür.

…..

FRAGE: Wie finden Ihre Partnerinnen das „Pussy“-Video?

Christian „Flake“ Lorenz:

ANTWORT: Meine Frau ist begeistert. Sie findet das logisch: Porno und Rock’n Roll ist eins.

FRAGE: Und wie war der Dreh?

Paul Landers:

ANTWORT: Erstmal ein bisschen wie Zahnarzt…….

Hui!

Bei Rammstein läuft übrigens auch ein Zähler: 3:14:40:38 Tage/Stunden/Minuten/Sekunden. Dann erscheint das Album Liebe ist für alle da.

13. Venus Berlin – BZ und Feministischer Pornofilmpreis

Auf der Seite der 13. Internationalen Fachmesse Venus läuft der Countdown in Sekundenschnelle rückwärts: Gerade noch 4:1:19:01 – jetzt nur noch 4:1:18:24 Tage/Stunden/Minuten/Sekunden bis zur Eröffnung der grossen Sexmesse, die vom 15. bis zum 18. Oktober in Berlin stattfindet. Hier eine Eigendarstellung von der Internetseite:
Die VENUS Berlin – eine Erfolgsgeschichte, die sich sehen lassen kann. Womit wir auch schon beim Stichwort wären, denn sehen kann man bei der VENUS so einiges: Waren seit dem Startschuss im Jahre 1997 ‚erst’ 128 Aussteller aus rund 18 Ländern auf der Messe vertreten, so hat sich diese Zahl bis zum Jahr 2008 vervielfacht und wir begrüßen mittlerweile 400 Aussteller aus über 36 Ländern, die mit ihrer Produktvielfalt Jahr für Jahr die Konsumenten begeistern. Und auch in Bezug auf unsere Besucherzahlen lohnt sich ein Blick auf die Statistik: Jahr für Jahr öffnet die VENUS ihre Pforten für circa 27.500 Konsumenten, Tendenz steigen.

Der Vertretungsberechtigter Geschäftsführer ist Sven Hurum, der auch das LSD in der Kurfürstenstraße betreibt.

Der Zulauf zur Messe ist also groß und deshalb bereiten auch die Zeitungen der Stadt sich und ihre Leserschaft auf das Ereignis vor. Hier eine Auswahl:

Ist Porno gucken okay?

fragt die taz in ihrer Wochenendausgabe. Und führt so in das Thema ein: Vor Beginn der internationalen Fachmesse der Sexindustrie kritisiert Ex-Emma-Chefin und WDR-Moderatorin Lisa Ortiges altfeministische Kampagnen gegen Pornofilme. „Eine PorNo-Kampagne wie in der Emma, die 30 Jahre alte Pornofilme zitiert oder Stringtangas und Tarrantino-Filme in denselben PorNO-Topf wirft, ist genauso struktur- und ziellos wie die Angriffe linker Chaoten auf Luxusautos, weil die ‚irgendwie‘ für Kapitalismus stehen“, schreibt sie im „Streit der Woche“ der sonntaz. Eine solche Definition von Porno hinke dem Sprachgebrauch und dem Markt hinterher.

Einen klick weiter weist die taz darauf hin: Ebenfalls am kommenden Wochenende verleihen die InitiatorInnen der „PorYes“-Kampagne um die Berliner „Sexpertin“ Laura Meritt den „1. Feministischen Pornofilmpreis Europa“.  Ist Porno jetzt also endgültig auch in linken, feministischen Kreisen angekommen?. Bis zu diesem Zeitpunkt am frühen Sonntag morgen (8:56 Uhr) ist die Frage 137 mal kommentiert worden.

Viel früher aufgestanden ist dagegen die BZ für ihre dreiteilige Vor-Ort Reportage, die sie am 7. Oktober begann unter dem Titel Doppeltitel

Knochenjob

Berlins härtester Straßenstrich
7.30 Uhr, Kurfürstenstraße, Ecke Potsdamer Straße. Die Kälte zieht in jedes Knopfloch. Die junge Frau mit der rotblonden Löwenmähne und den pinken Stöckelschuhen hat sich gegen den Stromkasten gelehnt. Ihre Augenlider sinken hinab vor Müdigkeit. Es ist ihre elfte Arbeitsstunde. Sie wartet auf Freier. Täglich. Knochenjob Straßenstrich.

1. Tag: Prostituierte kommen zu Wort. Die „schüchterne“ Tinka und die „aufgestiegene“ Reni.

2. Tag:  Wir Anwohner vom Straßenstrich
In der B.Z. berichten Anwohner des Straßenstrichs vom Leben zwischen Heim und Huren.

Zu Wort kommen Opa Kurt, Monika und Pfarrer Fuhr.

3. Tag:  Geständnisse eines Freiers
Seit 13 Jahren ist Paul* aus Schöneberg Stammkunde bei den Mädchen der Kurfürstenstraße.
Der Vorteil für ihn: nicht so viel Genörgel wie bei einer Freundin. Er sagt er gäbe bis zu € 400 für Sex im Monat aus.

Wobei wir wieder beim Geschäft wären. Jetzt sind’s nur noch 4:00:51:17 Tage/Stunden/Minuten/Sekunden bis zur Eröffnung.

(*Der Name von Paul ist übrigens der einzige, der in der Reportage geändert wurde.)

Schöneberg, die Stadt der Frauen

titelte das Schöneberger Tageblatt am 3. Juni 1909

Bis in die Mitte der achtziger Jahre überwog in Schöneberg das männliche Geschlecht, wird berichtet – und – dass dieser beruhigende Befund (47,84 % Frauen in Schöneberg) im Jahr 1885 anfing zu kippen.

Dann stieg und stieg und stieg der Anteil der Frauen bis 1905 auf 54,51 %. Oh je und fast unübertroffen.  Höher als in Schöneberg war der Anteil des weiblichen Geschlechts von den 109 preußischen Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern lediglich in Wilmersdorf mit 57,84 und in der Fremdenstadt Wiesbaden mit 55,84 v.H.

Was war passiert? Das Schöneberger Tageblatt erklärt:

Das große Uebergewicht des weiblichen Geschlechtes in Schöneberg ist natürlich ausschließlich auf die starke Zuwanderung von Frauen zurückzuführen. Was daran natürlich und ausschließlich ist, bleibt unerklärt. Es geht weiter: Unter den jüngeren Kindern überwogen sogar, wie üblich, die Knaben. Am stärksten war andererseits der Frauenüberschuß in den höchsten Altersklassen. Waren die nun auch alle natürlich zugezogen?

Da blieben Fragen offen in diesem Artikel.

(Quelle: Petra Zwacka, Schöneberg auf dem Weg nach Berlin, Bezirksamt Schöneberg von Berlin (Hg.), 1987

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Auf diesem blog dreht sich alles um Wohnen, Arbeit, Vergnügen, Probleme, Geschichte, Gegenwart im Gebiet der Potsdamer Straße.

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Regine Wosnitza